Sammel die Glitches 3

Seid gegrüßt, verehrte(r) Anonymous!

Heute habe ich einen Artikel mitgebracht, der Euch vielleicht das ein oder andere unangenehme Gefühl bescheren könnte. Es geht um eine Abrechnung mit dem Modell "Kernfamilie", das ja gerne mal auf Teufel komm raus verteidigt wird, obwohl es manchmal gar keine Berechtigung dafür gibt. Deshalb hier direkt in der Ansprache eine Triggerwarnung: Es geht um psychische Gewalt und emotionalen Missbrauch in der sogenannten Kernfamilie (im Durchschnitt Vater, Mutter, Kind (er)).

Aber lest selbst:

    

Die Kernfamilie, ein bürgerlicher Fetisch?

Uff, was für eine Überschrift. Vielleicht sollte ich ins essayistische Fach wechseln und die Fantasy sein lassen, aber wenn ich mir das so überlege, nahhh.

Kennt ihr noch diese uralten TV-Serien wie „Ich heirate eine Familie“ oder „Diese Drombuschs“? 

Wenn nicht, könnt ihr gerne „googeln“, wenn Google denn noch funktionieren sollte. 

Und wisst ihr, dass das Genre Familiensaga/-roman über mehr oder weniger biografisch angehauchte Familiendynastien, eines der beliebtesten Buch- und auch Filmgenres in Deutschland ist? Direkt nach Krimi und Liebesgeschichte. 

„Die Buddenbrocks“, wenn die auch vermutlich seltener gelesen als gekauft werden: Als Aushänge-Mann-Roman steht dieses Buch vor allem bei Anbeter*innen des deutschen Zeitungsfeuilletons hoch im Kurs, weil das ist ja die hohe Belletristik, oh Verzeihung, die hohe Kunst der deutschen Literatur. Warum auch immer.:-)

Das alles erweckt bei mir den Eindruck von kultartiger Verehrung eines Konstruktes, dass in der modernen und genuin bürgerlichen Erscheinungsform, historisch gar nicht so wahnsinnig alt ist. Vielleicht 200 Jahre oder so, also das Ding mit der „Kernfamilie“. Ihr wisst schon, Vater, Mutter, Kind, was alle komischerweise immer im Sandkasten spielen wollen. Merkt euch schon einmal: SPIELEN wollen.

Nun mag das Ganze durchaus seinen Sinn haben, aber ich stelle mich hier jetzt mal hin und behaupte frech, die meisten Familien machen keinen Sinn oder nicht den Sinn, den wir meinen, den sie haben sollen.

Für mich ist Familie ein Minenfeld und der perfekte Nährboden für zwischenmenschliche Traumata. Weder trägt dieses Konstrukt dazu bei, die Gesellschaft zu verbessern, noch ist es dazu geeignet, kritisches Denken zu fördern. Und auch, wenn Menschen nicht gerne alleine sind, heißt das nicht, dass wir in „Zwangsverbänden“ leben wollen, wenn sie uns systematisch zerstören. 

Menschen, die behaupten, die sog. Kernfamilie sei die „Keimzelle des Staates“, ehrlich gesagt, weiß ich akut nicht, wer das so formuliert hat, aber ich wette, es war ein ignoranter, alter, weißer Mann, dessen Blablabla von anderen weißen, alten, ignoranten Männern mit zu viel Geld nachgeplappert wurde. Okay, damit dürfte ich meinen Standpunkt wohl deutlich genug gemacht haben.

Huch, wo kommen all die faulen Tomaten her, die gerade auf mich zu fliegen?! Warum kein Softeis?! Wer nicht weiß, was ich damit meine der suche bitte nach Maggie Thatcher.

Aber genug der Polemik, denn es gibt einen wichtigen Punkt, den ich ansprechen möchte:

Ein ganz, ganz wichtiger Grund, warum es Missbrauchsopfern, ob physisch und/oder psychisch, so schwerfällt und auch schwer gemacht wird, über das Erlebte zu sprechen oder sagen wir, zu kommunizieren, sind vor allem diese Sätze: 

Aber ihr seid doch Familie! Sie sind doch deine Eltern! 

Er ist doch dein Vater! Sie ist doch deine Mutter! 

Aber das sind doch deine Geschwister, Großeltern, Kinder, etc.

Und meist wird angeschlossen mit Bemerkungen folgender Art: 

Wie kannst du behaupten, sie hätten dich schlecht behandelt: Du hast ein Dach über dem Kopf, Spielzeug, genügend essen und zu trinken. Jetzt stell dich mal nicht so an. Dir geht es doch gut. 

Oder auch gerne mal mit: 

Dir geht es wohl zu gut. 

Die letzte Variante hörte ich besonders oft gerade in späten Teenagerjahren oder frühem Erwachsenenalter. Aber genug von mir.

Ich meine, allein das niederzuschreiben, fühlt sich absurd an. 

Als ob Eltern ihre Kinder, oder auch umgekehrt, immer gut behandeln, weil, weil wir sind ja Familie. Ihr wisst schon, Blut ist dicker als Wasser, da musst du mal Fünfe gerade sein lassen. Bist du sicher, dass du nicht überreagiert hast? Hey, Schwamm drüber, sie haben es bestimmt nicht so gemeint.

Ich bitte euch. Wirklich euer Ernst? 

Ihr kennt das mittlerweile: 

Macht die Augen zu, atmet 3x tief ein und aus und lasst den Satz/die Sätze mit eurer ganz eigenen Geschichte, euren Vorstellungen, euren Träumen und Werten, einfach 2 Minuten wirken. Falls ihr gerade euer Smartphone zur Hand habt oder einen Stift, notiert einmal, was euch dabei so durch den Kopf gegangen ist. 

Und wenn ihr damit fertig seid, habe ich euch eine neue Herausforderung mitgebracht:

Erweitert eure Aufmerksamkeit anschließend für 2 Minuten auf eure körperlichen Empfindungen. Wo sitzen die Verspannungen, was machen eure Füße, eure Hände, was sagt euer Magen, wo kribbelt es, was fühlt sich taub an? Was sagt euch euer Körper, wie reagiert er auf diese Sätze. Nur 2 Minuten.

Und für die Fortgeschrittenen unter euch, noch eine Stufe weiter: 

Macht diese Übung 1x morgens und 1x abends. Vergleicht eure Notizen. Hat sich etwas verändert in euren Empfindungen? Wenn ja, was? 

Was diese Sätze ausblenden ist das Machtverhältnis zwischen Eltern und Kind. Sie sind nichts anderes als „verlängertes“ Gaslighting, das von der Umgebung, bzw. Dritten gerne eingesetzt wird, um nicht zugeben zu müssen, dass eine Familie eben nicht das heimelige Nest ist, als das, was nach außen hin, gerne GESPIELT wird. Damit schließt sich der Kreis.

Erinnert ihr euch noch an meine Bemerkungen im oberen Abschnitt? Wir SPIELEN gerne Vater, Mutter, Kind im Sandkasten. Doch wenn aus dem kindlichen Spiel eine alltägliche Simulation wird, die dazu dient, über Missbrauchsverhältnisse hinwegzutäuschen, sprich um den Schein zu wahren, dann wird es finster. Richtig finster. An diesem Punkt wird das Konstrukt Familie zur reinen Fassade einer repressiven Gesellschaft.

Um es platt auszudrücken: 

Familie wird dann zum Fetisch, wenn wir anfangen wegzuschauen, um eine Fantasie aufrechtzuerhalten. 

Der Satz WIR SIND DOCH FAMILIE ist keine Rechtfertigung für Gewalt und Missbrauch, egal ob physisch, psychisch oder beides. 

Und auch der Satz DAS GEHT ANDERE NICHTS AN, DAS IST PRIVAT findet genau dort seine Grenze. 

Aber gerade diese Kakophonie dieser Stimmen, die wie spitze Fingernägel auf Schiefertafeln schaben, kreischen und dafür sorgen, dass unsere angegriffenen Nervensysteme noch mehr erodieren, ist mitverantwortlich dafür, dass wir immer noch nicht ausreichend über psychische Gewalt in dysfunktionalen Familien sprechen. 

Und da wir, die darüber offen reden als Nestbeschmutzer*innen gelten, die die romantisierte und fetischisierte Idylle böswillig zerstören, hauen diese Stimmen mit zusätzlicher Schärfe in unsere Wunde hinein, faktisch ein drittes und viertes Mal der eigenen Stimme beraubt zu werden. 

Und genau das dürfen wir nicht zulassen, dass wir ein weiteres Mal mundtot gemacht werden. 

Was wir zu unserem eigenen Schutz allerdings nicht dürfen: Dank oder Respekt erwarten, den andere ganz automatisch für sich voraussetzen. Das ist die große emotionale Falle, die wir im Augen behalten müssen, wenn wir das Minimum an Würde behalten wollen.

Was hat das alles mit meiner kommenden Geschichte zu tun?

Werden es diese schrillen Stimmen schaffen, meinen Barden für immer zum Schweigen zu bringen, ist eine der Fragen, die meine Reihe aufwerfen wird. Auch setzte ich mich in der Geschichte kritisch mit dem modernen bürgerlichen Familienbild auseinander. So viel sei verraten: Es gibt ein gutes Ende und ich werfe einfach mal mit dem Trope Found Family in den Raum.:-)

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