Experimentelle Kurzgeschichte: Diesmal ein Sci-Fi-Versuch!
Ich grüße Euch, verehrte*r Anonymous!
Heute gibt es eine kleine Überraschung:
Ich habe mich an einer Science-Fiction-Kurzgeschichte versucht. Einerseits um euch die Wartezeit auf die Anakos-Episode zu versüßen (ich gebe zu, dass ich daran momentan verzweifle😩), andererseits um mich in einem weiteren Genre auszuprobieren. Bisher habe ich mich nämlich an Science-Fiction noch nicht herangetraut.
Aber lest selbst!
Der Auslöser
verfasst von Heike Pflüger
(all rights reserved)
Der Bildschirm zeigt mir an, dass heute die 3. Ära, nachdem die Farben verschwunden sind, anbricht. Oben rechts auf dem Schirm blinkt das Jahr auf: 2121. Unten links steht in weiß auf rotem Grund:
Achromat tötet Familie - Der Tatort ist diesmal die abgeriegelte und unter Quarantäne stehende Hauptstadt des Mini-Mondes „Care“.
Ich stelle den Ton lauter. Die monotone Nachrichten-Stimme schallt durch mein Zimmer:
„In der vergangenen Nacht hat ein Familienvater erst seine gesamte Familie und dann sich selbst umgebracht. Es handelt sich bereits um den fünften Fall dieser Art in diesem Monat. Die Freiheitsbewahrungsbehörde hat herausgefunden, dass es sich bei dem gutsituierten und erfolgreichen Androiden-Forscher um einen Achromaten handelte, der eine Affäre mit einem genetisch kompatiblen Auslöser hatte. Der Fall wurde mittlerweile der Gesundheitsbehörde übergeben. Die Bürgermeisterin und die Ministerin für Stadtsicherheit bedauern diesen Vorfall zutiefst und fordern die Bevölkerung erneut dazu auf, sich an die Gesundheitsbehörde zu wenden, um jeden potentiellen menschlichen Auslöser zu melden oder sich selbst in die Obhut der Gesundheitsbehörde zu begeben, wenn der Verdacht besteht, eventuell selbst ein Auslöser zu sein. Und jetzt das Wetter...“
Ich schalte den Nachrichten-Schirm aus und nehme erst jetzt das tiefe Brummen der Drohnen, die über den heruntergekommenen Wohnsilos kreisen, wahr.
Meine Welt ist schwarz-weiß, mehr oder weniger grau. Monochrome Töne bestimmen meinen Alltag. Ich sehe Morgengrau, Taggrau, Regenhimmelgrau, Sonnenhimmelhellgrau, Nachthimmelschwarz, Walddunkelgrau, Meeresschimmergrau, denn ich bin nicht in der Lage, Farben wahrzunehmen. Achromasie, echte Farbenblindheit, nennen die Gesundheitsbehörden diese mittlerweile weitverbreitete Störung, die wie eine Seuche vor ein paar Jahren um sich griff. Ich nehme also nur hell-dunkel Kontraste wahr und die Ärzte sagten, dass ich zu den Achromaten gehöre und das es keine Heilung für mich gibt.
Aber das war nicht immer so:
Nachdem Tod meines Vaters erzählte mir meine Tante, dass ich als kleines Kind ganz normal Farben sehen konnte. Doch eines Tages, als sie von einer ihrer Photoexpeditionen zurückkam, konnte ich es nicht mehr. Eine Woche nach meiner Diagnose, verschwand meine Mutter spurlos. Vermutlich konnte sie nicht damit umgehen. Daraufhin adoptierte mich meine Tante. Ich weiß nicht mehr, wie es ist Farben zu sehen, aber ich brauche es heute auch nicht mehr. Ich komme ganz gut mit meinem Zustand zurecht und lebe einen normalen Alltag zwischen dem Kybernetik-Studium, einem Nebenjob in einer Bar und meiner Wohnung. Ich benutze Hilfsmittel wie getönte Kontaktlinsen, den Eyeborg und andere. So kann ich unabhängig sein, auch wenn meine Tante mir ständig damit in den Ohren liegt, dass ich doch auch bei ihr leben könnte.
Aber das geht nicht, denn ich habe ein Geheimnis:
Ich habe jemanden gefunden, der mich alle Farben sehen lassen kann. Nicht nur hören, wie der Eyeborg. Ich habe einen sogenannten Auslöser gefunden. Ein Auslöser, ist so etwas wie ein Eyeborg. Nur besser. Und meiner ist etwas ganz Besonderes:
Mein Auslöser ist ein Mensch. Doch das darf niemand erfahren. Man würde uns sofort trennen, mich töten und den Auslöser einsperren. Denn in dieser Welt ist es verboten, Achromaten wie mir, durch menschliche Berührung zu helfen. Wegen der damit verbundenen Suchtgefahr und den Folgen.
Achromaten, wie ich, sind gefährlich für menschliche Auslöser. So lautet die offizielle Meinung. Denn Farben sehen können, macht sofort abhängig. Sie überfallen einen, plötzlich und hart. Sobald der Auslöser dich berührt, entsteht ein Rausch, von dem du nie genug bekommen kannst und den du immer wieder haben willst. Alles was dazu nötig ist, ist eine alltägliche, zufällige Berührung wie Hände schütteln. Fairerweise muss ich dazu sagen, dass es sehr, sehr unwahrscheinlich ist, dass ein genetisch kompatibler Achromat und Auslöser sich treffen, denn nur dann entsteht der Rausch. Aber wenn, dann ist das Verderben nicht aufzuhalten, denn Achromaten bringen in der Regel ihre Auslöser um:
Erst werden sie anhänglich, dann besitzergreifend, manipulierend und schließlich zu Mördern, weil sie von der Angst besessen sind, dass der Auslöser sie wieder verlässt. Die Sucht nach den Farben, die die Auslöser verschaffen, raubt Achromaten letzten Endes den Verstand und wenn sie das natürlich viel zu spät erkennen, bringen Achromaten erst ihren Auslöser und dann sich selbst um. Achromaten sind Wölfe im Schafspelz und ich bin einer von ihnen.
Langsam drehe ich mich um. Vor mir steht mein Auslöser und lächelt. Unsere Fingerspitzen berühren sich und ich spüre erst ein Kribbeln und dann das geschmeidige, träge Gefühl, das dem Rausch vorausgeht, als würde sich mein Körper öffnen, extra für das Farbenspektakel. Ein Gefühl wie warmer Strom, fließt durch meine Fingerspitzen, dann dringt die Hitze durch meine Adern, schließlich erreicht sie mein Herz und steigt mir am Ende in den Kopf, wo sich die explodierende Farbenpracht in mein Gehirn einbrennt, wie ein Feuerwerk auf Leinwand gebannt.
Doch werden diese Bilder nicht von Dauer sein. In einem Anflug von Panik ergreife ich die Hand meines Auslösers, umklammere sie so fest ich kann. Dann erkenne ich die ersten klaren Farben:
Himmelblau, Sonnengelb, Gewittergrau, Wolkenweiß, Nachtschwarz, Grasgrün, Saphirblau, dann ein Regenbogen und schließlich verschmilzt alles zusammen zu einem Alltagsgemisch. Langsam eröffnet sich mir das Panorama auf meinen, in Lavendeltönen gehaltenen, Raum. Die Vorhänge bauschen sich im Nachtwind, der durch das Fenster streicht. Sie erstrahlen blütenweiß in der Dunkelheit. Ich halte die Hand immer noch fest umklammert, während ich mich umschaue. Es ist mein Zimmer, aber durch die Farbenpracht erscheint es seltsam fremd. Ich kann das vertraut-fremde Gefühl kaum beschreiben, während in mir die Farben rauschen, wie Wasserfälle, die über steile Klippen tanzen, bevor sie in die Tiefe stürzen. Mein Auslöser wartet geduldig ab, bis ich wieder klar denken kann.
Ein seltsames Funkeln in seinen Augen, lässt mich erschaudern. Außer diesem Funkeln erkenne ich nichts in ihnen. Dieses Funkeln ist wie das entfernte, kalte Licht der Galaxien, die diesen Mini-Mond umkreisen. Ein Glitzern inmitten unendlicher Schwärze. Ich weiß, dass ich dieser Schwärze nichts entgegenzusetzen habe. Ich muss an die Nachrichten denken und ein spöttisches Lachen bahnt sich durch meinen Hals. Oh, wie sie sich doch alle täuschen...
Nicht wir Achromaten sind das Problem, sondern die Auslöser. Sie suhlen sich in ihrem Helfer- und Märtyrersyndrom, schieben ihre Unzulänglichkeiten auf diejenigen, die sich nicht wehren können, da sie als krank, ja sogar als verrückt und gefährlich gelten. Die Auslöser waren es, die dieses System und die Kategorie Achromat geschaffen haben. Nachdem die Menschheit mutierte, oder besser gesagt, degenerierte und dreiviertel der Mond-Bevölkerung keine Farben mehr wahrnehmen konnte, übernahmen die Auslöser die Gesundheitsbehörde.
Ich kann mein Lachen nicht weiter unterdrücken und reiße meine Hand zurück, als hätte mich eine Mondschlange gebissen. In meiner anderen, halte ich meine automatische Mono-Drahtpeitsche, doch mein Auslöser ist schneller. Geschmeidig wie eine Raubkatze, taucht er unter meinem Angriff hindurch, schlägt mir mit der Handkante auf meinen Arm und reißt mich zu Boden. Ich lache immer noch, während wir uns anstarren wie angriffslustige Bestien. Mein Wahnsinn lärmt durch den Raum, äußert sich, ist sichtbar, spürbar, während der Wahnsinn meines Auslösers still und kalt in dunklen Augen stagniert, sich durch das Innere frisst, bis Herz und Gefühle verschlungen sind. Auslöser sind buchstäblich ohne Empathie. Sie lassen sich, bevor sie als Auslöser anfangen die Gesellschaft zu terrorisieren, extra die Spiegelneuronen entfernen. Sie entscheiden sich für die Psychopathie, um die Menschheit vor dem Verschwinden der Farben zu retten. So raunt es zumindest durch die Weiten des Netzes. Ich lache hart und laut, spüre gleichzeitig, wie mir die Tränen übers Gesicht laufen. Was ist nur aus der Menschheit geworden? Ich zögere nicht länger, schnappe nach des Auslösers Kehle, verbeiße mich immer tiefer in das saftige, rötlich schimmernde Fleisch. Haut platzt unter meinen Zähnen auf, metallischer Blutgeschmack füllt meinen Mund.
Das Letzte was ich von meinem Auslöser höre, ist ein stotterndes, immer wieder von gurgelndem Keuchen unterbrochenes: "Ich … habe ... dir … doch… gesagt, du … kannst … nicht … gewinnen …du … wirst … uns … niemals … aufhalten..."
Plötzlich Stille. Ich spüre, wie das Blut über mein Kinn rinnt und mit einem plitsch auf den Boden tropft. Dann höre ich das lang gezogene Heulen der Sirenen in der Ferne.
Ende
Ich hoffe, euch hat diese kleine Geschichte gefallen. Wenn ja, würde ich mich über eine kleine Kaffee-Spende sehr freuen. Meine Geschichten könnt ihr HIER unterstützen!
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