Schreib-Challenge #52in23 Nr. 9 ist da!

Seid gegrüßt verehrte*r Anonymous!   

Hier ist Kurzgeschichte Nr. 9. 

Vorsicht: Es geht um emotionalen Missbrauch, auch wenn es "nur" angedeutet und nicht perspektivisch beschrieben wird. 

Mit 1933 Wörtern ist diese Geschichte auf der längeren Seite und als lockere Fortsetzungsepisode gedacht. Man kann sie aber auch als Standalone lesen. 

Ich entschuldige mich für den verspäteten Upload, normalerweise kommen die Kurzgeschichten immer freitags. Aber nun wünsche ich ein intensives Lesen!


Der CEO, der mich zum Essen einlud, Teil 2:

Eine verführerische, schmerzhafte Süße im Leib verspürend, schwebte ich, leicht wie eine Feder, zwischen Wachen und Träumen. Knisternde seidige Glätte hüllte mich ein. Mein Atem kam und ging, meine Muskeln entspannt wie nach einem angenehmen Schaumbad. Ich blinzelte, als ich etwas Warmes auf meinen Lidern spürte. Eine hohe, weiße Decke, mit feinem Stuck dekoriert, tauchte über mir auf. Langsam wandte ich den Kopf. Das Kissen raschelte mir dabei ins Ohr, wie sein heißer Atem in der Nacht. Rechts von mir befanden sich hohe Fenster, die von luftigen Vorhängen mit dezenten Wolkenmustern, verhangen waren. Ein Nachttisch mit einer in die Wand eingelassenen, schmalen LED-Leuchte, ein großes Glas Wasser, neben meinem Smartphone. Ich drehte meinen Kopf in die andere Richtung. Braune, glatte Haut unter der sich trainierte Armmuskeln abzeichneten und ein Lächeln, das den Sonnenstrahlen, die mich wach gekitzelt hatten, Konkurrenz machte. Seine dunkelbraunen Augen bekamen goldene Sprenkel im Morgenlicht, während er mich liebevoll betrachtete.

„Einen schönen guten Morgen, Chaska.“

„Guten Morgen.“

„Gut geschlafen?“

Ich kuschelte mich tiefer unter die Decke, während ich gleichzeitig näher an ihn heranrückte. Nach so einer Nacht, eine künstliche Fassade von Distanz aufrechtzuerhalten, war nicht mein Ding.

„Ich denke schon…“, murmelte ich und rieb meine Stirn an seiner Brust. Er legte seine Hand auf meinen Kopf, streichelte mich sachte, spielte mit meinem Haar. Ich schnupperte. Sein Duft erinnerte mich an den aufschäumenden Ozean und seine Stimme hatte ein sanftes, heiseres Timbre, dass tief in mir ein Echo auslöste. Das fast schon vertraute langsame Kribbeln wallte in mir auf, sorgte dafür, dass mein Herz vibrierte. Ich traute mich nicht aufzuschauen, er würde mir meine Lust sofort ansehen. Und das wäre mir dann doch etwas peinlich. Vielleicht, weil ein solches Date schon lange her war. Ich war es scheinbar nicht mehr gewohnt, jemandem in dieser Art und Weise nahe zu sein. Am liebsten hätte ich so den ganzen Tag verbracht. Nur wir beide allein, abgeschieden von der Welt. Nur Essen, Trinken, Liebe und Leidenschaft. Kaffee mit Milch und Honig im Bett, ihn küssen, seine Hände spüren, hach...

„Ich bin untröstlich, aber ich muss gleich in die Firma“, flüsterte er und drückte mich.

„Kein Problem,“ nuschelte ich an seiner Brust, doch er protestierte:

„Das ist sehr wohl ein Problem. Wenn ich dir so nahe bin, dich halten darf, kann ich mir tausend Dinge vorstellen, die viel wichtiger sind, als die Firma. Mit dir meine Zeit verbringen, zum Beispiel und dich den ganzen Tag knuddeln…“, seine Stimme verlor sich zwischen meinen Haarsträhnen. 

Doch seine Worte berührten etwas in mir. Etwas Ambivalentes. Meinte er das, was er sagte? Oder sagte er mir gerade nur, was ich hören wollte. Diese merkwürdige Dissonanz in mir ließ mich innehalten. Ein verschwommenes Gesicht tauchte aus meinem Gedächtnis empor. Wie ein Mahnmal überwältigte es die mich eben noch erfüllende, warme Geborgenheit. Ich schob ihn ein Stück von mir und flüsterte: „Sag das nicht, Ray. Du bist der Stolz der Firma. Das kannst du doch nicht mit mir vergleichen. Ich bin nicht wichtig...“, hastig unterbrach ich mich. Was redete ich da? Warum war ich drauf und dran, den schönen Morgen zu ruinieren? Ich spürte sein Herz unter meinen Händen schlagen. Dieser unbeirrbare Rhythmus, sicher, kraftvoll, zugewandt. Ein Herz log nicht. Worte, ja, Blicke ja. Aber nicht das Herz. Langsam wich das verschwommene Gesicht in mein Unterbewusstsein zurück und doch hinterließ es eine ungute Spur von Dunkelheit auf dem sonnigen Morgen. Ich ließ meine Hände sinken. Er schwieg zuerst und ich schalt mich in Gedanken dafür, diesen friedlichen Moment zerstört zu haben. Als ich vorsichtig aufschaute, blickte ich direkt in die dunkelbraunen mit Gold gesprenkelten Augen, die mich eindringlich musterten.

„Willst du mir etwa vorschreiben, was ich zu fühlen habe?“

Er umfasste sanft meine Handgelenke. Ich erstarrte, schüttelte entsetzt den Kopf.

„Nein, so war das nicht gemeint. Ich …“

Sein Blick wurde weich. Dann nahm er meine Hände, legte sie erst an seine Wangen, führte sie sachte seinen Hals entlang und ließ erst wieder los, als meine Handflächen über seinem Herz lagen. Ein stetiger Rhythmus, der unter meinen Händen noch an Kraft zuzulegen schien. Ich hielt den Atem an, versuchte, keinen Schlag zu verpassen. Ein Herz log nicht. Er hob eine Hand, streichelte mir über die Wange, während seine andere Hand über meiner lag und er sachte seine Finger mit den meinen verflocht.

„Wenn ich sage, du bist wichtiger als die Firma es je sein könnte, dann meine ich das auch so. Ist es das, was dich dazu bringt, mich die ganze Zeit lesen zu wollen? Weil du Worten nicht traust? Oder weil es meine Worte sind?“

Ich erstarrte, doch er fuhr fort:

„Weiß du, ich hatte letzte Nacht dieses unwirkliche Gefühl, dass du all meine Stimmungen, möglichen Wünsche, die ich theoretisch haben könnte, verzweifelt versuchst hast, vorauszuahnen. Irgendwie zu erspüren, um sie mir zu erfüllen, noch bevor ich sie überhaupt artikulieren kann. Es wirkte auf mich, als wolltest du alles geben, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, dass du vielleicht etwas zurückhaben möchtest. Aber vielleicht habe ich mir das nur eingebildet?“

Seine Stimme klang sanft, fast zögerlich, doch seine Fingerspitzen, die mir immer noch über die Wange streichelten, waren warm. Es lag kein Vorwurf in seiner Stimme, allenfalls ehrliche Neugierde.

Doch er hätte mich auch direkt ohrfeigen können. Für einen Moment fühlte ich mich verloren. Still starrte ich ihn an, meine Augen vermutlich so groß wie zwei Vollmonde, dann ließ ich meinen Kopf sinken. Das mahnende, verschwommene Gesicht durchstieß wie ein unsichtbarer Dolch, erst meine Erinnerungen, dann mein Herz. Ließ die letzten hellen Sonnenstrahlen des Morgens endgültig verblassen. Die Schatten im Zimmer vertieften sich, füllten sich mit unheimlicher Lebendigkeit und monotonem Flüstersingsang aus der Vergangenheit:

Wie kannst du nicht wissen, was ich will. Muss ich dir immer noch sagen, dass ich meinen Kaffee nur schwarz trinke.

Bist du zu dumm, dir zu merken, dass ich es hasse, wenn du meine Krawatten zu den falschen Anzügen sortierst.

Was erlaubst du dir, ohne mich zu fragen, deine Freundin einzuladen, du weißt, dass ich sie nicht leiden kann.

Wir sind schon so lange zusammen und du weißt immer noch nicht, wie du mich ordentlich verführen sollst?

Weißt du, die Nachbarin, die kann dir noch Tipps für eine ordentliche Haushaltsführung geben, die arbeitet nicht in irgendeinem sinnlosen Job, sondern kümmert sich noch um ihren Ehemann, wie es sich gehört. Du dagegen...

So wispert die unheimliche Lebendigkeit in den Schatten. Jede Nacht, wenn ich mit offenen Augen zu Hause auf der Couch liege. Doch das kann ich nicht einfach so sagen, er würde mir sowieso nicht glauben, vielleicht sogar denken, ich wäre unzurechnungsfähig. Schließlich habe ich keine blauen Flecken, keine mehrfach gebrochenen Knochen oder Schädelhirntraumta wie die Frauen, die regelmäßig verprügelt werden. Die wenigstens eine Chance haben, bei der Polizei irgendwann erfolgreich zu sein. Aber in Fällen, wie meinem? Keine Spuren körperlicher Gewalt, keine Hilfe.

Nein, ich habe nur ein etwas grenzwertiges Immunsystem, immer noch so, dass man nicht eindeutig sagen kann, dass da was ernsthaft im Argen ist. Das kommt schon mal vor, vor allem bei jungen Menschen. Blutarmut, ihr wisst schon. Studium, Job, Familie, das sind halt alles Stressfaktoren. Migräne kann auch andere Ursachen haben, genauso wie Magenschleimhautprobleme oder Neurodermitis. Ja, Chaska ist halt empfindlich wie die Mutter und die Großmutter

Die Gedankenspirale riss mich fort. Immer weiter fort, von ihm, bis das Zimmer vor meinen Augen verschwamm. Mein Atem verfing sich in meiner Kehle. Meine Hand, eben noch entspannt auf seiner Brust, zuckte, bis sich meine Finger krümmten. Doch er ließ nicht los. Auf einmal hatte ich das Bedürfnis ihm meine Fingernägel in die Haut zu pressen. Einfach so. Ihn diesen Schmerz spüren zu lassen, wie es ist, wenn sich Fingernägel durch Haut bohren. Bis Blut fließt. Dieser Schmerz, der sich bis ins Herz hineinfrisst. Der scheinbare Überlegenheit demonstriert und doch nur ein Akt der Verzweiflung ist, weil die Worte fehlen. Denn die schlimmste Waffe, die ein Mensch benutzen kann, sind Worte. Sprache, die beschämt, die erniedrigt, die unsichtbar macht. Die entmenschlicht, auslöscht, vernichtet. Worte sind so unheimlich praktisch: Sie hinterlassen keine sichtbaren Verletzungen. Sie vergiften langsam, aber stetig, deinen Kopf, deine Seele. Manipulieren deine Gefühle und dein Denken, deine Weltsicht und können nicht nur unsichtbare Narben hinterlassen; sie hinterlassen Wunden, die vielleicht niemals verheilen. Doch niemand sieht dich bluten, weil du dich wegen Magenproblemen von der Arbeit abmeldest, oder weil du es einfach nicht mehr aus dem Bett schaffst, weil du wieder einmal Wünsche erfüllen musstest.

Ich werde dich immer finden, egal wohin du auch fliehst. Du wirst mich nie mehr los, denn ich bin in deinen Gedanken, in deinem Herzen.Tag und Nacht. Ob du allein bist oder nicht. Ich bin der Schatten, der dir überallhin folgt, dein ganzes Leben lang. Du wirst niemanden finden, der dir glaubt, du wirst niemanden finden, der dich so versteht, wie ich es tue. Es hat keinen Sinn, sich anderen anzuvertrauen. Sie werden sich alle früher oder später von dir abwenden, weil wir beide wissen, wie kaputt du bist und ich der Einzige bin, der dich heilen kann...

Das Bett hielt mich plötzlich gefangen. Ein weiches, schmeichlerisches Gefängnis, dass mit Seide fesselt und mit Federkissen erstickt. Ich biss mir so hart auf die Unterlippe, dass ich Blut schmeckte, der rostige Geschmack auf meiner Zunge brachte mich jedoch wieder in die Gegenwart zurück. Langsam hob ich den Kopf. Seine Finger umschlangen immer noch die meinen und er sah mich an. Ein offener, klarer Blick. Verhalten neugierig. Abwartend. Sollte ich es versuchen? Vage fühlte ich, wie sein Daumen in einer beruhigenden Geste über meinen Handrücken streichelte. War das bewusst oder unbewusst? Und spielte das überhaupt eine Rolle? Wenn ich wirklich gewollt hätte, hätte ich mich aus seinen lockeren Fingern mühelos befreien können, wäre mit einem lockeren Spruch auf den Lippen aufgestanden und gegangen. Doch ich blieb wo ich war, versuchte die richtigen Worte zu finden. Da war dieses Gefühl, dass ein Herz nicht lügen konnte. Natürlich hätte ich so tun können, als ob dieser Abend und diese Nacht nie stattgefunden hätten. Ich konnte auch jeden Tag den Job kündigen..., nein, ich liebte meinen Job. Kündigen würde mir auf eine andere Art das Herz brechen. Also reinen Wein einschenken? Immerhin waren schon drei Jahre vergangen und mir ging es viel besser. Ich holte tief Luft.

„Du hast recht. Ich traue Worten nicht und ich komme Leuten lieber zuvor, bevor sie sich beschweren. Immerhin sagt das auch mein Team. Dass ich sehr sensibel und diplomatisch wäre und effizient zuarbeiten kann, dass sie mir nicht viel sagen müssen, dass ich sehr gut im Antizipieren bin in Bezug auf Kundenwünsche…“

Er legte den Kopf schief.

„Ich kenne die Beurteilungen deines Teams, aber das meinte ich nicht. Und hoffentlich hast du mich gestern Nacht nicht als irgendeinen Kunden gesehen, dem du sämtliche Wünsche von den Lippen ablesen musst?!“

Seine Stimme klang erst entgeistert, dann ernsthaft schockiert. Hastig schüttelte ich den Kopf.

„Nein, nein. Aber ich kann nicht anders. Ich versuche in allen Belangen zu antizipieren, Dinge zu erahnen, das Verhalten anderer zu erspüren, bevor…“, meine Stimme verlor sich in Ratlosigkeit. Wie sollte ich ihm das nur begreiflich machen?

„Das klingt, als würdest du in einem permanenten Ausnahmezustand leben.“

„Ach ja?“

Seine Finger schlossen sich fester um meine.

„Es klingt als hättest du keinen einzigen Moment für dich. Die Arbeit, Privates, Freunde. Alles verwandelt sich so in ein permanenten Ausnahmezustand. Du bekommst keine Pause. Kannst dich selbst nicht mehr spüren…“, jetzt war es seine Stimme, die sich in Ratlosigkeit verlor. Doch ich hörte genau zu und beendete seinen Satz:

„...und am Ende weißt du nicht mehr, wer und was du eigentlich bist.“


Fortsetzung folgt


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