Sammel die Glitches 4

Seid gegrüßt, verehrte(r) Anonymous!

Heute möchte ich einen kleinen Kommentar loswerden zu einem Thema, das immer wieder, wenn es um emotionalen, narzisstischen Missbrauch geht, die Runde macht: unsere angeblich so krankhaften Verlustängsten. Warum schreibe ich hier angeblich? Verlustängste erklären doch alles an unserem Verhalten: Das Klammern, die scheinbaren Überreaktionen, das sich ständig Sorgen machen, das Gefühl nicht zu reichen, nicht gut genug zu sein. Verlustangst! Ja, dass muss es sein. Das erklärt doch alles. Das ist die Lösung.

Äh, nein. Vielleicht erklärt Verlustangst bei dem ein oder anderen bis zu einem gewissen Grad ein bisschen, aber eben längst nicht alles. 

Ich bin immer misstrauisch, wenn ein einziges Ding als DIE Erklärung tituliert wird. Immer. 

Aber lest selbst.

Am Anfang steht die traumatische Verstrickung

In dysfunktionalen Familien mit narzisstischen oder auch antagonistischen Persönlichkeiten, wachsen wir in einer Umgebung auf, die uns lehrt, dass wir uns auf nichts verlassen dürfen. Was heute noch in Ordnung ist, ist morgen zu viel oder lange nicht ausreichend. Nichts ist sicher, die Regeln ändern sich ständig und folgen keinem Muster, aus dem wir konkrete Schlüsse ziehen können. Mit anderen Worten, wir sind emotional nicht sicher. Das nennen wir psychologisch-psychiatrisch korrekt traumatische Bindung, oder was ich schöner finde, traumatische Verstrickung.

Haben wir solch einen Familienverbund überlebt, schlagen wir uns später mit Dingen herum wie: Warum gerate ich ständig an die falschen Leute? Warum drehe ich fast durch, wenn sich jemand verspätet und nicht sofort Bescheid gibt? Warum habe ich das Gefühl, nicht alleine sein zu können? Wenn diese Person mich verlässt, habe ich das Gefühl, ich sterbe.

Seht ihr wie das Aufwachsen in ständiger Unsicherheit sich ausformen kann? Schnell kommen wir zu dem Schluss: Wir können nicht mit Verlusten umgehen, haben also Verlustangst, Angst vor dem Alleinsein, etc.

Aber stimmt das wirklich?

(Achtung: dieser Abschnitt ist meine rein subjektive Sicht der Dinge!)

Mit den Jahren stellte es sich heraus, dass ich nicht unbedingt Verlustangst hatte, sondern in der chronischen Angst lebte, Hängengelassen, Fallengelassen zu werden. 

Das ist nicht dasselbe wie Verlustangst, es geht in eine andere Richtung. Stirbt eine geliebte Person und das Verhältnis war gut zu ihr, tut das natürlich irre weh und wir brauchen lange, bis wir darüber hinwegkommen bzw. bis wir gelernt haben, mit dem Verlust umzugehen.

Was aber normalerweise in solchen Fällen nicht geschieht ist, dass wir das auf alles andere im Leben übertragen. Erst wenn wir zum Beispiel das Schocktrauma nicht (richtig) verarbeiten, kann es passieren, dass wir das auf jede weitere Person, die sich verspätet, übertragen und dabei in Panik verfallen. Schocktrauma ist das eine. Aber die verchronifizierte Angst Fallengelassen zu werden, finden wir vor allem im Entwicklungstrauma.

Bestes Beispiel waren bei mir nicht eingehaltene Versprechen bezüglich Dingen, die mir persönlich wichtig waren. Und zwar nicht nur einmalig, sondern ständig: gemeinsame Zeit am Wochenende, Geburtstage, Feiertage, Urlaube, Gestaltung des Alltags, Lebensziele, immer wenn es Zeit wurde, sich an einen Tisch zu setzen, ließen Partnerpersonen mich hängen. Nicht sofort, aber ich hatte irgendwie immer diese 3-Jahresgrenze. Dann gingen meine Beziehungen grundsätzlich auseinander. Es wiederholte sich und ich konnte mir das nicht erklären.

Dabei ging es bei den Trennungen nicht immer um die großen legendären Partnerschaftskonflikte. Es ging um alltägliche Rücksicht auf Gefühle und Respekt.

Wenn ich also aus einer Beziehung herausfiel, hatte ich nicht diese ständig thematisierte Verlustangst, sondern ich empfand am Ende, dass derjenige mich bewusst hatte hängen oder fallen lassen. Dann kamen die Selbstvorwürfe: Lag es an meinen Ansprüchen? War ich zu idealistisch? Oder auch in die andere Richtung: Wie dumm konnte ich nur sein, mich auf diese Person einzulassen, die ganz klar unzuverlässig war?

Das Gefühl eines echten Verlustes hielt sich in Grenzen und selten kam bei mir das auf, was wir landläufig Liebeskummer nennen. Es lohnte sich nicht Personen hinterher zu weinen, die ganz klar unzuverlässig waren. Stell dir vor, ich hätte diejenigen geheiratet, ach du Sch***. Wie gut, dass es dazu nicht gekommen war. Es war, als hätte mein Unterbewusstsein mir die ganze Zeit Warnsignale geschickt, die sich schlussendlich einfach nur bewahrheitet hatten.

Hmm, seltsam nicht war? Immer diese „self fulfilling prophecies“.

Erkennt ihr den Unterschied?

Es geht nicht um eine generalisierte Verlustangst, sondern wir entwickeln die Angst vor dem Geburstag, an dem wir alleine die Kerzen auspusten müssen, weil wir bei unserem Gegenüber keine Priorität sind. Natürlich wollen wir auch Personen, die wir lieben nicht verlieren. Verlust an sich, kann zwar sehr dramatisch und auch traumatisierend sein, aber ist nicht per se toxisch und verfolgend.

Das Giftige ergibt sich daraus, wenn ein chronischer Zyklus von suggerierender Hoffnung und Hängengelassen entsteht. Bildlich gesprochen, kommt es dann zu einem An- und Ausschalten-Verhältnis, wie ein Lichtschalter, der bedient wird.

Die Folge:

Wir lernen in narzisstischen Familiensystemen, dass auf nichts, aber auch rein gar nichts Verlass ist und das ist nichts weiter als das Nichtentstehen und Nichterlernen können/dürfen von Vertrauen. Wir wurden also letztendlich auf Misstrauen konditioniert. Der Verlust besteht hier in der „Nicht-Entwicklung“ emotionaler Sicherheit, die vor allem Kinder in der frühen Entwicklung benötigen. Und diese emotionale Unsicherheit verfolgt uns wie ein unstetes Gespenst in späteren sozialen Beziehungen, hier in einem etwas weiteren Sinne gemeint, aber vor allem in späteren Partnerschaften.

Mir fällt zu diesem Thememkomplex leider keine Denkübung ein, aber vielleicht kann euch das hier weiter helfen:

Schaut genau hin, wenn die Angst kommt (ich weiß, dass kann sehr, sehr gruselig sein, mir hilft da meine Neugierde und die Frage warum ist das jetzt so). Was für eine Angst kommt da? Ist es die Angst, dass wir an unserem wichtigsten Tag alleine am Tisch sitzen müssen, weil wir hängengelassen werden oder ist es diese Angst, dass wir wirklich etwas verlieren, nämlich Zeit im Leben glücklich zu sein. Das ist der echte zu betrauernde Verlust, dass, was wir an Möglichkeiten und Zeit gehabt hätten, ein anderes Leben zu führen.

Kurze Anmerkung zum Schluss:

In meinem geplanten Buch erlebt mein Barde genau das: Er gerät nicht in Panik, weil ihn jemand verlässt, sondern weil ihn sein Gegenüber das Gefühl gibt, hängengelassen zu werden und er die Arbeit wieder mal ganz alleine machen muss, obwohl es ein Versprechen gab, ihm zu helfen. 

Zu zweit oder dritt sind fünf Monster kein Problem, aber alleine wird es lebensgefährlich.

Es ist diese Erkenntnis, die meinen Barden verfolgt: Hängengelassen werden kann ebenfalls tödlich sein. 

Und darüber können wir sehr wohl 2 Minuten drüber nachdenken, gerne auch schriftlich im Notizbuch oder in einer beliebigen App:-).


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