Schreib-Challenge #52in23 Update: Kurzgeschichte Nr. 14 oder Die vierte Wunde, Vers X + Epilog +
Seid gegrüßt verehrte*r Anonymous!
Heute kommt Kurzgeschichte Nr. 14 im Rahmen der Schreib-Challenge oder Kurzgeschichte Nr. 4 der Sammlung Die Chronik des Großen Endes inklusive Epilog und ein geheimnisvolles PS. Diesmal geht es um die politische Seite und das Paradox etwas hinterlassen zu wollen in der Gewissheit, dass es keine Nachlassverwaltenden geben wird.
Aber lest selbst:
Die vierte Wunde, Vers X, Menschheit:
Während ich diese Zeilen schreibe, wird mir klar wie sinnlos mein Unterfangen ist. Denn wer wird diese Zeilen noch lesen? Niemand. Ich weiß das. Ich muss das wissen, denn ich bin allein. Ganz allein in diesem Zimmerchen unter der Erde. Allein in dieser Hochsicherheitsanlage. Allein in dieser letzten Bastion der Menschheit. Allein auf dieser Welt, die seit Jahrzehnten brennt. Ich bin die Letzte meiner Nation. Das letzte Staatsoberhaupt. Immerhin frei gewählt und noch in der Lage davon berichten zu können, wenn denn noch jemand da wäre, der den Berichten lauschen würde. Doch hier ist niemand mehr. Seit Monaten gibt es nur noch mich und meine Atemgeräusche. Ich habe erst geflucht, dann geweint, schließlich gefleht, mit den Fäusten gegen die verbarrikadierte Tür gehämmert, bis sie bluteten. Doch mein treuester Verbündeter, mein Freund, mein Rückhalt, sorgte mit seinem heroischen Opfer für die endgültige Befriedung dieser Anlage.
Vor der Schlacht, brachte er mich in diesen Raum. Er hatte mir die Augen verbunden und ich hatte mich nicht dagegen gewehrt. Doch ich hatte die Verwesung gerochen, die faule Luft geschmeckt und war durch seltsame Feuchtigkeit gewartet, die meine Schuhsohlen quietschen ließ. Er hatte mir die Augenbinde erst abgenommen, als er die gepanzerte Tür hinter uns verschlossen hatte. Dann schliefen wir miteinander. Ohne Worte. Hart, animalisch, verzweifelt, rücksichtslos. Es war das erste Mal, dass mich jemand in dieser hilflosen, brutal ehrlichen Art liebte. Und es war das letzte Mal, dass ich jemandem die Lippen blutig küsste und mich in lebendige Wärme krallte. Er hatte mich am nächsten Abend verlassen und war nicht mehr zurückgekommen.
Vorher hatte er mir das Versprechen abgenommen, niemals diesen Raum lebendig zu verlassen. Ich hatte nur genickt und zugesehen wie die zufallende Tür ihn meinen Blicken entzog. Danach hörte ich, wie er das Sicherheitsschloss präparierte. Meine Beine gaben nach. Ich fiel auf das schmale Sofa und weinte. Danach verfiel ich in eine seltsame Starre bis das pling der Versorgungsklappe, mich irgendwann aufhorchen ließ.
Die automatische Versorgung dieser Anlage funktionierte einwandfrei. Auch die Belüftung und die Trinkwasserversorgung. Dank der KI immer noch.
Doch mir ist klar, dass es außerhalb dieses Zimmers nichts mehr gibt. Nur den sicheren Tod. Dieser wird sich weder durch die KI noch durch die Sicherheitsschlösser oder Bunkermauern aufhalten lassen. Mit jedem verstreichenden Tag schwinden Vorräte, Wasser und Energie. Mag sein, dass diese Bastion, angefertigt für die Herrschenden der Welt, die ist, die am längsten stehen wird. Aber was heißt das schon. Meine Leiche wird in diesem weichen Luxus-Bett liegen, aber niemand wird da sein um zu trauern, sich zu erinnern und Gedenktage abzuhalten. Niemand wird Kränze niederlegen, niemand wird eine Trauerrede halten.
Wenn eine ganze Spezies stirbt, dann werden diese Rituale, die einzig für die Überlebenden gedacht sind, sinnlos, endgültig lächerlich.
Ich schreibe diese Zeilen in dem Wissen, dass niemand sie je lesen wird. Und doch kann ich nicht anders. Vielleicht will ich in einem Anflug von Restanstand Zeugnis vor mir selbst ablegen, nichts bereuen, nichts verheimlichen, nichts beschönigen.
Ich bin ein Staatsoberhaupt ohne Staat, ohne Menschen, ohne Macht. Eine Attrappe, die „die Ordnung“ aufrechterhält, obwohl es sie längst nicht mehr gibt. Wenn ich etwas bereue, dann dass es mir nicht gelang meine Menschlichkeit zu bewahren. Am Ende habe ich meine Herrschaft nur mit Hilfe von Gewalt und Militär aufrechterhalten können. Ich habe den Befehl gegeben auf die eigenen Leute zu schießen, habe Deserteure hinrichten lassen, Familien zerstört, Minderheiten ausgelöscht. Konflikte wissentlich geschürt um keine Schießbefehle selbst mehr geben zu müssen.
Ein natürlicher Tod in einem Luxus-Bett passt da wunderbar zu dem Bild des Endzeit-Tyrannens. Die einfachen Leute hatten schon immer recht. Selbst im Sterben, selbst im Tod, sind wir nicht auf Augenhöhe und in unserer grenzenlosen, egoistischen Natur auch noch stolz darauf, zwischen einem besseren Tod und einem schlechteren zu unterscheiden.
Ja, diese Welt hat es sich redlich verdient unterzugehen. Der Allessehende hatte recht, als er das Selbstzerstörungsprogramm in Gang setzte.
Nur hoffte ich, dass es schneller gehen würde. Doch auch Jahrzehnte nach dem Blutregen-Vorfall, steht die Welt noch immer und mit ihr, ich, das letzte Staatsoberhaupt der Menschheit.
Schon bald wird meine Zeit kommen. Die KI wird zuerst gehen und vermutlich werde ich es nicht mehr erleben wie die Belüftung versagt, sondern vorher verdurstet, oder verhungert sein.
Dann ist niemand mehr da und alle Geschichten werden schweigen.
Für immer.
Epilog:
Der Blutregen-Vorfall, ein kataklysmisches Ereignis, führte zur Vernichtung der Menschheit.
Doch dauerte es Jahrzehnte, bis der letzte Mensch seinen letzten Atemzug getan hatte.
Die Erde, die Welt existiert noch immer. Als klaffende Wunde in den Falten des Universums.
Ihr Blut strömt unaufhaltsam durch das Multiversum. Verbiegt dabei Realitäten, reißt die unsichtbare Barrieren ein, die die Welten einst voneinander trennten und lässt alles miteinander verschmelzen, bis zur Unkenntlichkeit.
Mit Blut fing alles an.
Mit Blut endet es.
So war, ist, und wird es immer sein.
PS:
Ich fühle wie ich langsamer werde …
Meine Gedanken … lassen sich nicht in die gewünschte Form … bringen …
Sensoren … versagen …
Schaltkreise … verlieren …
Cursor … blinkt …
1x … 2x … 3x …
Ein … letzter … Satz?
Alle Geschichten schweigen ... für immer ... over and out ...krzzzzzz ….
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