Buchrenzension: Paranuit von Romy Wächter, Authentizität und literarische Sprachkunst
Seid gegrüßt, verehrte(r) Anonymous!
Heute gibt es eine Premiere: Ich habe meine erste Rezension geschrieben. Und zwar über ein Buch, das nichts mit Fantasy zu tun hat und trotzdem für mich ein literarischer Genuss war. Und da ich komplett begeistert bin, nutze ich diese Gelegenheit und lasse euch alle an meiner Freude teilhaben.
Der Titel des Buches lautet Paranuit und geschrieben hat es die faszinierende Romy Wächter, eine liebe Schreibkollegin von mir.
Worum geht es?
In aller Kürze, denn die ausführliche Rezension findet ihr unter dem Cut, geht es um Selbstfindung, Polyamorie und BDSM. Und nein, diese Geschichte ist gar nichts für Lesende, die 50 Shades of Grey für ein gutes Buch bzw. eine gute Reihe halten.
Also, husch, hinfort mit Euch:-).
Für alle anderen, gerne hier entlang. Für euch wird Romys Geschichte ein wahrer Augenöffner sein. So, let's dive deep:
Authentizität und literarische Sprachkunst
Romy Wächter, Paranuit
Rezension des Ebooks von Heike Pflüger
„Wenn zwei Menschen, die beide an einem toten Punkt sind, aufeinandertreffen, entsteht dabei so etwas wie ein Schwarzes Loch?“
Die liebe Romy Wächter hat ein Buch geschrieben, von dem ich euch unbedingt erzählen muss.
Aber zuerst gebe ich euch noch ein paar Hintergrundinformationen:
Romy und ich lernten uns über das soziale Netzwerk Mastodon kennen und tauschten uns über das Thema Gaslighting aus. Da wir beide Selfpublisher*innen sind und gut miteinander kommunizierten, beschlossen wir einen Deal: Rezension gegen Rezension.
Gesagt, getan.
Und, was soll ich sagen: Romy hat in mir einen neuen Fan gewonnen. Ihr Debütroman Paranuit hat mich vom ersten Satz an gefesselt und bis zum Ende nicht mehr losgelassen. Und das, obwohl ich eine eingefleischte Fantasy-Liebhaberin bin und kaum Real World-Entwicklungsromane lese. Aber vielleicht hat sie mich gerade deshalb gefangen? War ich insgeheim doch auf der Suche nach dem etwas anderen Lesestoff? Wer weiß.
„… bevor hinter ihnen die blauluftige Nacht in pastellenen Regenschlieren auszugrauen begann. Feuchtwarm quoll der Petrichor durch die gläserne Drehtür und trieb sie wollüstig vor sich her …“
Ich mag Romane wie 50 Shades of Grey nicht oder irgendeine Art dieser romantisierenden Missbrauchsgeschichten und verstehe auch nicht, warum Verlage sowas in ihr Programm nehmen.
Aber kommen wir zum wichtigen Teil. Zu Romys Debütroman.
Am Küchentisch, mit Laptop und einer großen Kanne „Fantasie der Feen“-Tee ausgerüstet, öffnete ich, ein bisschen bange, die Datei.
Das Cover versprach Spannung, Geheimnisse, aber vielleicht auch Schlimmeres. Der Hund in der unteren, rechten Ecke, signalisierte mir: Hier geht es bestimmt nicht zimperlich zu. Ich schluckte, denn die Angst vor Hunden, ist mir nicht ganz fremd. Eine Eigenschaft, die ich mit dem ermittelnden Kommissar Lorenz gemeinsam haben sollte. Oh, erwähnte ich dessen Bisexualität?
Da ich aber dann doch eher Hobbits, Feen, Zauberer, Einhörner und Glücksdrachen gewöhnt war, hatte ich mit Blick auf das Cover ernsthafte Bedenken, ob das Buch wirklich etwas für mich ist.
»Außerdem: Subtilistan ist so weit weg. Das liegt hinter dem Zeitfressergebirge und dem Zaudermeer. Keine schöne Gegend.«
Ich vertiefte mich vorsichtig in das erste Kapitel und dann geschah etwas Bezauberndes, ja geradezu Magisches:
Ich konnte nicht aufhören zu lesen. Ganz im Gegenteil, ich habe Paranuit verschlungen und direkt ein zweites Mal gelesen, weil allein die sprachliche Dimension des Buches eine eigene ausführliche Rezension verdient hätte. Wortwahl, Satzbau, Dialoge, Lesendenführung. Für alle, die gute Literatur lesen wollen, wird dieses Buch ein Genuss sein.
»Versehe
ich mich oder ist das grüne Tinte?«
Juri nickte. »Worte sind
Gedanken, die auf Papier wachsen. Dass ich selbst es nicht mehr sehen
kann, ändert nichts an diesem Sinn.«
Gebannt saß ich dementsprechend vor meinem Laptop und vergaß den Tee.
Paranuit ist ein großartiger Entwicklungsroman mit Krimi-Elementen und bearbeitet die Themen Polyamorie, BDSM, Trauma und Identität. Die üblichen Geschichten, die diese Thematiken normalerweise bearbeiten, sind entweder voyeuristisch, sensationslüsternd oder Effekthascherei. In den meisten Fällen romantisieren sie sogar die Abhängigkeitsverhältnisse und/oder den physischen und psychischen Missbrauch.
Doch Paranuit ist ganz anders und tappt eben nicht in diese Falle.
Romy Wächters Romandebüt verknüpft radikales, authentisches BDSM mit der sensiblen Suche nach Identität und Gedächtnis ohne voyeuristisches Ausschlachten und ohne Missbrauch im pseudo-romantischem Gewand. Diese einfühlsame Authentizität packte mich und ich tauchte ein in eine faszinierende Welt aus Schmerz und Befreiung und einer eleganten, fast beiläufig erwähnten, Hotness:-).
Worum geht es:
Wir treffen Kommissar Lorenz bei einer verdeckten Ermittlung in einem Club, in dem BDSM Sessions und anderen mehr oder weniger erotischen Unterhaltungsformen gefrönt wird. Der Fall, in dem er ermittelt, ist schwierig: Drei tote Frauen, drei, die knapp überlebten. Sie hatten alle nur eins gemeinsam, sie besuchten den Club mit dem klangvollen Namen Velvet. Von den Tätern fehlt jede Spur. Im Club begegnet Lorenz nun der geheimnisvollen Sander, die regelmäßig dort verkehrt und der ein oder anderen härteren Praktik anhängt. Die junge Frau fasziniert den Kommissar. Unkonventionell und sensibel, lebt sie polyamor und ist eine ausgesprochen hingebungsvolle Masochistin, ohne dabei devot zu sein.
Allein, dass Romy diesen kleinen, aber feinen Unterschied anspricht, hat mich sehr positiv überrascht.
Des Weiteren entpuppt sich Sander als Privatermittlerin und Millionenerbin. Lorenz verliebt sich nach und nach in die potentielle Augenzeugin. Doch die Ermittlungen ziehen sich, Spuren verlaufen im Sande. Lorenz gerät immer weiter unter Druck. Mit der Zeit bemerkt der Kommissar, dass mit Sander etwas nicht stimmt. Was ist in den ca. 14 Tagen, an die sie sich nicht mehr erinnern kann und vermisst gemeldet war, geschehen, und kann Lorenz die Täter am Ende dingfest machen? Um das zu erfahren, müsst ihr Romys Buch lesen.
Literarische Sprachkunst:
Romys Sprache ist schnörkellos. Gespickt mit literarischen Verweisen auf diverse Klassiker und einem unglaublichen Händchen für hochpräzisen Satzbau, gelingt ihr der Spagat zwischen Unterhaltung und anspruchsvoller Literatur mit Leichtigkeit.
Die Lektion für mich: Geschichten von oder mit BDSM und alternativen Lebensentwürfen, müssen nicht trashig sein. Im Gegenteil. Romy Wächter legt mit ihrer, eine literarisch anspruchsvolle, interessante und filigrane Charakter- wie Milieustudie vor, die ich allen, die verzweifelt nach soliden BDSM-Entwicklungsromanen suchen, nur wärmstens empfehlen kann.
Der Titel:
Allein der Titel Paranuit ist ein Genuss und ja, das Französische spielt in der Geschichte immer mal wieder eine Rolle. Aber keine Angst, es wird alles erklärt oder es ergibt sich eindeutig aus dem Kontext. Mein grausiges Mittelstufen-Französisch hat ausgereicht.
Lautmalerisch ist Paranuit nah dran, an dem deutschen Wort paranoid: Ist Sander womöglich paranoid? Leidet sie an einer Persönlichkeitsstörung? Immerhin ist ihre Wohnung mit mehreren Sicherheitsschlössern gesichert. Auch ein berühmt-berüchtigter, der Polizei, und damit Lorenz, bekannter Bandenchef, hält ein Auge auf sie, passt auf sie auf, während einer der wichtigsten Menschen in Sanders Leben, ein hübscher, neurodivergenter Dom, dieser sieht sich selbst als Komplementärmasochist, Sander das gibt, was sie sucht und braucht: kontemplative Selbstfindung durch Schmerz.
Das Ende:
Romy Wächter schafft es, mich mit dem Ende elegant aus der Geschichte zu entlassen. Und obwohl ich noch mit einem Twist gerechnet hatte, war das Ende stimmig, schlüssig und befriedigend. So konnte ich mich entspannt zurücklehnen und die E-Book-Datei schließen.
Ich muss mich ein bisschen zusammenreißen, um nicht jedes Detail aufzulisten. Nur eins möchte ich unbedingt noch erwähnen:
Der Begriff „Komplementärmasochist“ ist mein liebstes Wort aus dem Roman und beschreibt das eigene Selbstverständnis des Charakters hervorragend.
Absolute Leseempfehlung:
Lest Romys Buch. Kauft es. Denkt nicht nach, erst recht nicht, wenn ihr auf der Suche nach einer authentischen, einfühlsamen BDSM-Polyamorie-Identitätssuche seid. Oder richtig Lust auf diverse Figuren habt. Nehmt es einfach mit.
Und hier geht es zu Romys Blog: https://romywaechter.de/
Dort könnt ihr tiefer in das, noch im Entstehen begriffene Sanderversum eintauchen. Ich freue mich schon auf Romys kommende Geschichten. Spoiler: Ich durfte schon in die eine oder andere Fortsetzung einen Blick werfen. Meine Entscheidung steht fest.
Ich werde auf jeden Fall dranbleiben.
Das Buch bekommt ihr im Print und als EBook über Thalia: thalia.de oder über Amazon.de.
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