Update: Hier ist die 2. Episode von "Die Abenteuer von Anakos Trippelklemm"
Ich grüße Euch, verehrte*r Anonymous!
Ich habe eine kleine Überraschung: Die 2. Episode meiner Kurzgeschichten-Reihe "Die Abenteuer von Anakos Trippelklemm" war schneller fertig als gedacht! Deshalb könnt ihr sie schon heute lesen. Viel Spaß!
Anakos Trippelklemm und wie er Hydri, die Schatzsucherin kennenlernte , Episode 2:
Er spürte den Sog des heimeligen Strandes an seinen Scheren kitzeln. Er hörte den Ruf der Brandung, die merkwürdig vertraut klang, die nur hier diesen sehnsuchtsvollen Ton hervorbrachte, der ihn umschmeichelte und lockte. Den Klang der Fruchtinsel, den Klang des Grabens, den Klang der Geborgenheit. Die stille Melodie im Wasser, die ihn unsichtbar umarmte, seine Gehörgänge zum Schwingen brachte und ihn alles andere vergessen ließ. Anakos paddelte den glitzernden Bahnen entgegen, die ihn auf eine schaumkronenweiße Sandbank führten.
Der feine Sand war warm, fast schon heiß, doch Anakos krabbelte weiter die Sandbank hinauf, die sich als weitläufiger, wellenförmiger Strand entpuppte. Ein ganzer Ozean aus Sand. Vor ihm ragte die Insel in den Himmel hinauf, wie ein riesiger satter Blauwal. Es duftete nach Kokos, Salzwasser und Tang, der in der Sonne trocknete. Anakos zögerte nicht und umrundete ein paar Steine. Ein leichter Wind wehte ihm den Geruch von bewohnten Grotten und Häuschen entgegen, der ihn an den Geruch seiner Mutter erinnerte. Eine leichte Euphorie ergriff von ihm Besitz und er krabbelte, so schnell er konnte, weiter. Sein Blick huschte hin und her, dabei vibrierten seine Stielaugen gespannt, doch kein Krebstier war weit und breit zu sehen.
Anakos wich einer am Strand angeschwemmten Kokosnuss-Schale aus und stieß dabei gegen etwas Hartes. Benommen schüttelte er seine Scheren, als ein Schatten auf ihn fiel. Anakos verharrte. Vor ihm stand ein riesiger, stattlicher Einsiedler-Krebs mit einem weißen Schneckenhäuschen und blickte verhalten neugierig auf ihn hinab. Anakos trippelte unsicher ein paar Schritte zurück. Der Krebs mit dem weißen Häuschen lächelte.
„So hast du denn hierher gefunden.“
Anakos klapperte verhalten mit seinen Scheren.
„Kennen wir uns?“
Der Krebs schien einen Moment lang zu überlegen.
„Das kommt darauf an. Wenn Sich kennen heißt, eine Grotte miteinander zu teilen, dann kennen wir uns nicht. Aber wenn Sich kennen heißt, dass wir aus der gleichen Kruste geschnitzt sind, dann kennen wir uns.“
Anakos blinzelte verwirrt, doch sein Herz schlug mit den Worten im Einklang. Der Krebs mit dem weißen Gehäuse drehte sich um und winkte Anakos:
„Ich bin Liwa und hier der Siedlungsvorsteher. Komm mit, ich zeige dir deine neue Grotte.“
Anakos trippelte eilig hinter Liwa her:
„Angenehm, ich heiße Anakos.“
Liwa blieb stehen und blickte ihn überrascht an.
„Ein Anakos also? Dann können wir ja Großes von dir erwarten.“
„Von mir? Warum?“
„Alle Erdbeer-Einsiedlerkrebse, die Anakos genannt werden, vollbringen irgendwann in ihrem Leben etwas Großes. Das war schon immer so.“
Anakos folgte Liwa schweigend, bis sie an einem felsigen Uferstück der Insel ankamen. Unter einem Vorsprung konnte er ein paar Eingänge erkennen. Liwa steuerte einen Eingang an, der teilweise unter nassen Algen und Tang verborgen lag.
„Hier entlang.“
Anakos folgte Liwa ins Innere. Ein kurzer Gang endete in einer gemütlichen, mit lauschigen Nischen ausgestatteten Grotte. Nicht zu hell, nicht zu dunkel, nicht zu warm, nicht zu kalt. Nah am Strand, nah am Wasser. Etwas Besseres hätte Anakos nicht finden können.
„Das hier ist ab heute deine Wohnung. Allerdings gehört sie zu den Neubauten und ist dementsprechend kahl.“
Liwa inspizierte die Grotte argwöhnisch und kickte gegen ein paar lose Steinchen, die mitten im Weg lagen. Anakos trippelte aufgeregt von einer Nische zur anderen. Hier würde er seine Vorräte lagern können, hier seine Schlafecke haben und weiter hinten konnte er sogar eine Sitzecke einrichten. Strahlend wandte er sich an Liwa:
„Das hier soll wirklich meine Wohnung sein? Ich darf hier wohnen?“
Liwa nickte bedächtig.
„Aber ja. Nur wie ich schon sagte, die Grotte ist noch ein wenig kahl. Aber ich habe da eine Idee. Du könntest auf dem Kori-Wochenmarkt ein paar Einrichtungsdinge besorgen.“
„Kori-Wochenmarkt? Was ist das?“
„Sag bloß, du kennst das Fruchtinsel-Kori nicht?“
„Nein, ich habe noch nie davon gehört.“
Liwa blieb der Mund offenstehen, doch dann kratzte er sich nachdenklich am Kopf.
„Ich sehe, ich muss wohl ganz von vorne anfangen. Diese Insel hier ist bekannt für das friedliche Zusammenleben verschiedenster Völker und das Kori, also das Fruchtinsel-Riff, ist der größte Treffpunkt und der größte Markt im Umkreis von tausend Walometern, auf dem krebs alles bekommen.“
Anakos ließ sich neben Liwa nieder und Liwa begann seine Lektion über die Fruchtinsel, den Graben und das Korallenriff, das von allen Fruchtinselgraben-Völkern nur liebevoll Kori genannt wurde. Er erzählte von den Handelstreibenden, den verschiedenen Gütern und warnte Anakos vor den Heringen, die als hartnäckig Feilschende berüchtigt waren.
Anakos tat sein Bestes, sich alles zu merken, doch mit der Zeit spürte er, wie die Grotte langsam kühler wurde und der Ozean nach Abend schmeckte. Erstaunt schluckte Anakos ein bisschen Wasser und musste husten. Liwa unterbrach seinen Vortrag und Anakos streckte sich. Seine Scheren wurden schwerer und seine Stielaugen fielen ihm fast zu. Doch gerade als er eine dementsprechende Bemerkung machen wollte, sagte Liwa:
„Oh, es ist spät geworden. Aber, das wäre das Wichtigste, das du wissen musst, um dich hier zurechtzufinden. Ich denke, ich verabschiede mich jetzt. Wenn du Fragen hast, dann findest du mich am Fuße der Klippe in Grotte Nr. 2. Du bist jederzeit willkommen.“
Anakos unterdrückte ein müdes Blubbern:
„Das ist sehr freundlich.“
„Wir sehen uns dann. Schlaf gut.“
Anakos winkte Liwa nach, dann gähnte er herzhaft und sah sich in seinem neuen Zuhause um. Er beschloss, die linke Nische, die mit feinem Sand zwischen glitzernden Mineralsteinen ein Halbrund bildete, zu seiner Schlafnische zu machen. Anakos schob sich den Sand zurecht, kuschelte sich darunter und versuchte sich das Kori, das Liwa so lebhaft beschrieben hatte, vorzustellen, bis er einschlief.
Am nächsten Tag machte er sich direkt auf den Weg, um lauter Dinge für seine Grotte zu besorgen und so sein neues Zuhause schöner zu gestalten. Nach ungefähr fünf Wellengängen erreichte er die ersten Ausläufer des Kori. Staunend blieb er mit offenem Mund vor dem gewaltigen Riff schweben, das nur so sprudelte und pfiff vor buntem Leben. Langsam paddelte er näher, seine Stielaugen kullerten dabei pausenlos hin und her. Es war überwältigend. Gerüche, Farben, Geräusche, ja, sogar die Strömung des Ozeans schmeckte anders, als alles, was er bisher kennengelernt hatte. Für einen Moment wurde ihm ganz schwindelig.
„Was ist das für ein buntes Gewimmel?“
Das Korallenriff platzte aus allen Nähten. Nicht nur Riffbewohnende, auch großes und kleines Hochseegetier belagerte Plätze, Gassen, Tunnel und Gräben. Schwärme von außerhalb schlängelten, paddelten, ruderten und schwammen durch das riesige Community-Gate ein und aus, vollgepackt mit Andenken, Vorräten und anderen mehr oder weniger nützlichen Dingen.
Das war also der Kori-Markt. Der größte und vielfältigste im Umkreis von tausenden Walometern, wie Liwa erzählt hatte. Unzählige bunte Kalkbüdchen mit Muscheldächern standen dicht an dicht und das Publikum schob sich in endlosen Reihen daran vorbei, darauf bedacht, die besten Angebote aufzuspüren und mit nach Hause zu nehmen. Liwa hatte gestern wirklich untertrieben, dachte Anakos, während er sich unter das Publikum mischte und mit dem Strom paddelte. Er besorgte sich mehrere Seetang-Beutel und blieb schließlich vor einer riesigen Kreuzung mit unzähligen Wegweisern stehen.
„Mal sehen. Miesmuscheln und Kleingetier, Plankton-Delikatessen und Getränke, ah, da! Grotten- und Wohnhöhlenausstattungen. Sehr gut, dann muss ich mich also links halten und dem Grottensymbol folgen. Ein Larvenspiel!“
Anakos paddelte begeistert los. Doch es dauerte nicht lange, bis er sich in dem Gewirr von Fischen, Büdchen und anderem Getier hoffnungslos verpaddelt hatte. Er hatte das Grotten-Symbol längst aus den Augen verloren und stand nun scherenklappernd vor einem Büdchen, das Instant-Seetangdrinks und Plankton-am-Stiel verkaufte. Schnaufend kaufte sich Anakos ein paar Seetangdrinks. Er krebste ein paar Schritte zur Seite, als ihn plötzlich jemand anrempelte und etwas polternd zu Boden fiel. Anakos zuckte zusammen:
„Vorsicht!“
Vor ihm tänzelte eine schwarze Seeschlange mit seegrasgrünen Augen, die es sehr eilig hatte und züngelte:
„Oh, entschuldigen sie bitte. Das war keine Absicht. Ich hoffe, sie haben sich nichts getan?“
Anakos blinzelte irritiert, doch bevor er etwas erwidern konnte, war die Seeschlange schon davon geschlängelt.
„Na, die hatte es ja eilig. Aber mir ist nichts passiert. Ich sollte wohl nach dem Weg zum Laden mit den Grottenausstattungen fragen.“
Anakos klapperte etwas ungehalten mit den Scheren, dann fiel sein Blick auf den Boden. Vor ihm lag ein merkwürdig aussehender Gegenstand, der nicht ihm gehörte. Ruckartig blickte Anakos sich auf. Er erinnerte sich daran, dass er etwas hatte poltern hören, als die Seeschlange ihn aus Versehen angerempelt hatte. Ob das Ding ihr gehörte? Anakos überlegte nicht lange, schnappte sich den seltsamen Gegenstand, roch kurz daran und paddelte los. Nach ein paar Paddelschlägen fand er die Spur der Seeschlange. Ein einzigartiger Duft, süß und bitter zugleich. Er konnte sie gar nicht verfehlen, egal wie voll das Kori war. Je weiter er der Duftspur folgte, desto leerer wurden die Gassen und um so spärlicher wurden die Büdchen, bis er schließlich zwischen Müllbergen und heruntergekommenen Grotten zornige Stimmen hören konnte.
Anakos tauchte instinktiv hinter einen Berg aus zerborstenen Korallen und lugte vorsichtig um die Ecke. Da war ja die Seeschlange! Er hatte sie gefunden. Er wollte schon los paddeln und ihr den Gegenstand zurückgeben, doch dann bemerkte er, dass sie nicht alleine war. Ein paar finster wirkende Heringe, die alle ziemlich wütend aussahen, hatten sie umzingelt.
„Sag mal Schlange, willst du uns etwa verfischen? Wir wissen genau, was du vorhast. Hehlerware auf dem Schwarzmarkt loswerden!“
Die Seeschlange schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Das ist nicht wahr! Ich habe einen legalen Vertrag mit dem Meervolk!“
Doch die Heringe lachten nur hämisch.
„Glaubst du, wir wüssten nicht, dass deine Geschäfte schlecht laufen? Wer sollte uns denn sonst beklauen? Gib uns unser krakenähnliches Dingens zurück! Sofort, oder...“
„Ich habe dieses Ding nicht gestohlen, nur gefunden. Ich schwöre es beim Neptun. Hier schaut, ich wollte euch das seltsame Dingens zurückge...?!“
Die Seeschlange suchte hektisch in ihrem Beutel. Die Heringe zogen ihren Kreis enger, während die Schlange panisch ihren Beutel ausschüttete, so dass alle Gegenstände herauspurzelten. Doch darunter befand sich kein einziges krakenähnliches Ding. Anakos beobachtete, wie die Heringe die Schlange immer weiter bedrängten.
„Na? Was ist jetzt? Rückst du es freiwillig heraus?“
„Ich … ich …ich habe es verloren...“
Ein besonders riesiger Hering baute sich vor der Schlange auf und schüttelte langsam den Kopf. Sein Schatten viel auf den Kopf der Seeschlange wie ein lauernder Seeadler.
„Hydr, Hydri, Hydri. Ich bin sehr, sehr enttäuscht von dir. Dabei habe ich dir so viel beigebracht. Du willst doch nicht, dass deine Geschwister morgen auf der Wasserrinne hausen müssen, oder? Immerhin beginnt ab morgen die ZEIT, wenn du verstehst…“
Die Schlange zuckte zusammen, dann richtete sie sich auf und zischte:
„Das wagt ihr nicht… Ich habe euer Dingens nicht gestohlen. Ich hatte es die ganze Zeit in meinem Beutel. Ich muss es verloren haben…“
Doch der Hering schlug ungeduldig mit der Schwanzflosse.
„Ich glaube dir kein Wort. Gib uns unser Ding zurück, oder ich erteile dir eine Lektion wie sie selbst Neptun nicht vergessen würde! Ergreift sie!“
Die Heringe ballten sich auf den Befehl hin zusammen und wollten sich auf die Schlange stürzen. Diese kniff die Augen zusammen und wich ängstlich zurück, doch da schoss Anakos auch schon los und rief:
„Halt! Keinen Flossenschlag weiter!“
Die Heringe drehten sich erstaunt um und die Schlange öffnete vorsichtig ein Auge. Atemlos bremste Anakos ab und platzierte sich zwischen der Schlange und dem großen Hering, der Anakos missmutig anglotzte.
„Was willst du, Krabbe? Misch dich nicht in unsere Heringsangelegenheiten ein.“
Doch Anakos kramte schon in seinem Beutel nach dem krakenähnlichen Ding:
„Ich bin keine Krabbe, sondern ein Krebs. Ihr sucht doch ein krakenähnliches Dingens. Ich glaube, ich habe so etwas gefunden. Die Seeschlange hat es wirklich verloren. Hier ist es.“
Anakos hielt dem Hering triumphierend ein hartes Ding mit acht Armen, wie bei einem Oktopus, vors Gesicht. Das Ding war ungefähr so groß wie Anakos. Die Seeschlange, die sich wieder gefangen hatte, nickte hastig.
„Ja, genau das ist das Ding. Seht ihr , ich habe nicht gelogen. Ich hatte es wirklich verloren.“
Der Hering musterte Anakos eine Weile, doch dann nahm er ihm den Gegenstand ab.
„Das gehört uns. Hydri, nur weil dir diese Krabbe aus dem Schlamassel geholfen hat, heißt das noch lange nicht, dass du uns nicht bestohlen hast. Es beweist lediglich, dass dir das Ding abhanden gekommen ist. Ich werde dich also im Auge behalten und wenn ich auch nur den leisesten Verdacht habe, dass du uns belügst, dann … weißt du ja, was deinen Geschwistern blüht.“
Hydri schluckte so schwer, dass Anakos es an ihrem Hals sehen konnte. Doch sie nickte langsam, dann wandte sich der Hering an Anakos:
„Krabbe, du hast wirklich Glück, ich habe heute gute Laune und nehme an, dass du Hydri weder kennst noch gemeinsame Sache mit ihr machst. Ich warne dich: Lass dich in Zukunft nicht mit den falschen Schatzjagenden ein. Das kann lebensgefährlich für dich werden. Manche haben keine Skrupel unliebsame Konkurrenz zu beseitigen, wenn wir das für notwendig erachten. Das Geschäft ist hart und nur die Gewitzten und Skrupellosen sind dazu bestimmt, die Gezeiten zu überstehen. Manchmal schuldet fisch sich jedoch etwas und Außenstehende sind gut geschwommen, wenn sie sich raus halten. Hydri?“
Die Seeschlange zuckte zusammen.
„Ja?“
„Denke an deine Schulden und an deine Geschwister. Wir wollen doch in ein paar Tagen nichts tun, was wir hinterher bedauern, nicht wahr?“
Der große Hering blubberte noch einmal drohend, dann hob er seine Flosse und die anderen Heringe folgten ihm langsam. Anakos blickte den Heringen noch eine ganze Weile nach und murmelte:
„Was für ein aufbrausendes Fischvölkchen.“
Hydri stieß einen erleichterten Seufzer aus.
„Vielen Dank, dass du mir aus diesem Schlamassel geholfen hast. Wenn du nicht eingegriffen hättest, dann hätten sie mich wohl zu Seegries verarbeitet.“
Anakos paddelte in einem Halbkreis um Hydri herum.
„Oh, keine Ursache.“
Dann beobachtete er sie dabei, wie sie die verstreuten Gegenstände aufsammelte, in ihrem Beutel verstaute und ihn sich umhängte, danach hob die Seeschlange ihren Kopf und musterte Anakos neugierig.
„Du bist ja ein Einsiedlerkrebs. Wo kommst du her?“
Anakos überraschte diese Frage, er war schon in seinen Gedanken auf dem Weg zu den Grottenausstattern:
„Äh, ich komme von der Fruchtinsel, genauer gesagt, befindet sich meine Wohngrotte dort.“
„Aha, der Fruchtinselgraben. Entschuldigung, aber wie war dein Name noch gleich?“
„Ich heiße Anakos.“
„Sehr erfreut, ich bin Hydri. Aber das weißt du ja schon.“
Anakos musterte Hydri neugierig, doch er traute sich nicht, sie zu fragen. Schließlich ging ihn das Leben anderer Meeresvölker nichts an. Doch Hydri fuhr unbekümmert fort:
„Du möchtest bestimmt wissen, was das alles zu bedeuten hat.“
Anakos zuckte erst verlegen mit seinen Scheren, dann nickte er vorsichtig. Hydri züngelte resigniert, dann fing sie an zu erzählen:
„Also, ich habe noch zwei kleine Geschwister, die allein noch nicht überleben können. Deshalb bin ich Schatzjägerin geworden, um uns eine Wohngrotte zu finanzieren. Die Ironie an der ganzen Sache ist jedoch, dass die Heringe sowohl meine größten Konkurrenten als auch meine Vermietenden sind.“
Hydri kicherte traurig und fuhr fort:
„Der Job ist zwar nicht ungefährlich, aber er wirft genug für uns drei ab. Der Nachteil ist, wenn mir etwas passiert, dann wären meine Geschwister verloren, also muss ich superduper auf mich aufpassen. Schon alleine deshalb, würde ich niemals auf den Gedanken kommen, andere Schatzjagende zu bestehlen. Jedes Meervolk weiß doch, was dann einem strudelt. Das kann ich nicht riskieren. Allerdings gibt es auch eine Menge Konkurrenz in diesem Geschäft und fisch ist schnell dabei fiesen Gerüchten und Falschmeldungen zu glauben. Wenn jemand aufgibt, heißt das, es bleibt mehr für einen selbst. Schatzjagende sind ein eher egoistisches Völkchen. Aber wenn du deine Sache gut machst, dann bringt der Job viel zu viel ein, um ihn nicht zu machen. Ein Dilemma.“
„Ach so ist das. Klingt ganz schön kompliziert.“, murmelte Anakos. Dann kratzte er sich nachdenklich an seinem provisorischen Schneckenhaus und während sie auf das Kori-Zentrum zu schwammen, versuchte er sich vorzustellen, wie das wäre, wenn er sich noch um seine Geschwister oder eigenen Nachwuchs kümmern müsste. Er wackelte unsicher mit seinen Scheren. Vielleicht würde er dasselbe wie Hydri machen. Einen gefährlichen Job, damit alle eine Grotte über dem Kopf hatten, damit alle zusammenbleiben konnten und nicht hungern mussten. Er wollte gerade Hydri fragen, ob er noch etwas für sie tun könnte, doch da sog Hydri einen Schwall Wasser ein und kam ihm zuvor:
„Anakos?“
„Ja?“
„Noch einmal danke, dass du mir geholfen hast.“
„Keine Ursache.“
Hydri druckste ein wenig herum.
„Wenn du noch Zeit hast, darf ich dir etwas zeigen?“
Anakos betrachtete eingehend seine Scheren. Eigentlich wollte er heute noch seine Grotte einrichten. Aber in seiner Grotte, hätte er niemanden zum Reden. Er räusperte sich.
„Also, Zeit ist nicht das Problem. Was möchtest du mir denn zeigen?“
Hydri strahlte ihn an und schlängelte hastig an ihm vorbei.
„Ich zeig dir meine Schatzhöhle. Komm!“
Anakos folgte Hydri noch ein bisschen skeptisch. Doch sie rief aufgeregt:
„Hier entlang, hier entlang. Du wirst staunen, was sich alles so mit den Gezeiten ansammelt. Als professionelle Schatzsucherin muss ich schließlich darauf achten, das meine Schätze nicht kaputt gehen und da ist so eine Grotte unter dem Kori, weit ab von all dem Trubel, die beste Wahl. Oh, hier müssen wir nach links.“
Der Weg führte immer tiefer unters Kori und Anakos spürte das gewaltige Gewicht, dass sich über ihren Köpfen befand. Wie gut, dass er nicht allein hier unten war. Hydri schlängelte sich gekonnt durch die Tunnel. Anakos hatte aufgehört die Kreuzungen zu zählen, die sie schon passiert hatten, doch Hydri schwamm immer tiefer.
„Wir sind gleich da, Anakos! Ich bin schon gespannt, was du von meinem Versteck hältst.“
Sie bogen noch einmal nach rechts ab und kamen in einem kuppelartigen Rondell mit stufenförmigen Simsen an.
„Warte kurz.“
Hydri schlängelte sich an ihm vorbei und wühlte für einen Moment im Sand. Anakos hörte ein Scharren rechts und links und vor ihm öffneten sich schmale rechteckige Löcher entlang der stufenförmigen Simse. Hydri drehte sich begeistert um und schwamm eine große Runde um Anakos:
„Willkommen in meiner Schatzhöhle! Sieh dich nur um und du wirst staunen, was der Ozean alles so hergibt, wenn du nur weißt, wo du suchen musst.“
Anakos schwamm bedächtig die Simse ab. Auf diesen Simsem befanden sich … Gegenstände? Er legte bedächtig seine Scheren zusammen. Zwischen bekannten Gesteinen, selteneren Muscheln und verlassenen Schneckenhäusern, befanden sich Dinge, die Anakos so fremd waren, dass er keine Worte hatte, diese zu beschreiben. Doch Hydri zerrte ihn schließlich ungeduldig von einem Sims zum anderen und erklärte, dass es sich teilweise um Gesunkenes handelte. Anakos starrte Hydri verwirrt an.
„Gesunkenes? Was ist das?“
„Na, das, was manchmal von außerhalb der Ozeanoberfläche kommt. Es sind Dinge, die von diesen Oberflächenungeheuern stammen. Du weißt schon, diese gefährlichen Netzmonster, die uns bedrohen. Wo selbst Wale gegen machtlos sind. Manchmal verlieren diese Monster Dinge und wenn ich Glück habe, dann finde ich sie. Hier auf dem Kori bekomme ich die besten Preise. Damit kann ich meinen Geschwistern helfen. Aber in der letzten Zeit verirren sich weniger Netzmonster in die Kori-Gegend, Neptun sei Dank. Aber für Schatzsucherinnen wie mich, wird es dadurch immer schwerer, wertvolle Dinge zu finden. Deshalb war ich diesmal länger unterwegs als beabsichtigt und na ja, gelohnt hat es sich kaum.“
Anakos strich nachdenklich über einen viereckigen Kasten, der sich unter seinen Scheren wie raues Gestein anfühlte, jedoch einen blutigen Geruch verströmte. Er nieste und paddelte schnell weiter.
„Hydri, du bist sehr fleißig und deine Geschwister können stolz auf dich sein. Darf ich fragen, was für dich persönlich dein wertvollster Schatz ist?“
„Oh, ich hab schon darauf gewartet, dass du mich fragst. Hier entlang.“
Hydri schwamm Richtung Kuppel. An einem Sims, der ein paar Meter höher lag, hielt sie plötzlich an.
„Das hier ist mein allererster selbst geborgener Schatz.“
Anakos paddelte näher. Ein seltsam geformter, durchsichtiger Gegenstand mit bunt glitzerndem Inhalt ließ ihn staunend inne halten.
„Was ist das?“
„Ein Meerwesen hat es eine Sanduhr genannt. Es meinte, damit kann ich die Zeit messen, die vergeht, bis ich meine Liebsten wiedersehen kann. Das Meerwesen erzählte mir, dass die Landbewohner nach den Sanduhren ihr gesamtes Leben ausrichten. Ich finde es reicht, wenn ich weiß, dass wenn ich diese Sanduhr drei Mal umdrehe, ich meine Geschwister wiedersehe.“
Anakos blickte abwechselnd von der Sanduhr zu Hydri.
„Eine Sanduhr, die anzeigt, wie lange es dauert, bis du deine Liebsten wiedersiehst? Das klingt sehr schön. Aber was ist, wenn die Uhr abgelaufen ist und ihr euch nicht wiederseht?“
Hydri zögerte kurz.
„Das Meerwesen meinte, dass diese Sanduhr verzaubert ist. Sie bringt jedes Wesen nach drei Mal umdrehen dorthin zurück, wo es sich von den Liebsten verabschiedet hat. Bisher hat das immer funktioniert. Aber das Meerwesen konnte nicht genau sagen, wie dieser Zauber funktioniert.“
Anakos dachte eine Weile darüber nach. Es gab doch Dinge hier im Ozean, die unglaublich waren. Die Sanduhr glitzerte unterdessen still vor sich hin.
„Anakos?“
„Ja?“
„Ich… vielen Dank für deine Hilfe heute. Ich glaub, alleine hätte ich das komplett verstrudelt. Dank dir, haben meine Geschwister und ich jetzt Ruhe. Wie kann ich mich revanchieren?“
Anakos schüttelte entsetzt die Scheren.
„Aber ich habe doch gar nichts Großartiges gemacht. Ich habe lediglich an das appelliert, was jedem Meeresvolk selbstverständlich ist. Du musst dich nicht revanchieren. Außerdem bin ich mir gar nicht sicher, was du mit revanchieren meinst?“
Hydri schlängelte sich an Anakos vorbei und betrachtete den Sims eingehend.
„Mit revanchieren meine ich, ob ich dir auch irgendwie helfen kann. Also nicht heute oder morgen, aber irgendwann einmal?“
„Du bist mir nichts schuldig, wenn es das ist, was du meinst.“
Anakos klapperte verlegen mit seinen Scheren.
„Ich meine, ich habe mich einfach so eingemischt und wer weiß, was alles hätte passieren können.“
Hydri lachte.
„Nein, ich meine das eher so, dass wir uns doch ganz gut verstehen und ich damit sagen wollte, dass ich es Schade fände, wenn wir uns nach all dem Trubel nicht wiedersehen könnten. Ich möchte gerne mit dir einmal ganz in Ruhe bei einem Kokosmilch-Tee über Neptun und den Ozean reden. Vielleicht könnten wir auch zusammen auf Schatzsuche gehen, oder ich kann dich vielleicht in deiner Grotte besuchen. Oder wir könnten sogar den Meerwesen einen Besuch abstatten. Was hältst du davon?“
Anakos bekam große Stielaugen und stotterte:
„Also.., ich, Moment. Ich bin gerade erst in meine Grotte eingezogen und ich kenne mich hier in der Fruchtinsel-Gegend nicht richtig aus, und ...und…“
„Halt, halt, Anakos. Das, was ich damit sagen wollte ist, ich will deine Freundin sein.“
„Oh.“
Hydri wand sich ein bisschen.
„Ich möchte dich gerne zu einem Kokosmilch-Tee einladen. Magst du Kokosmilch-Tee?“
Anakos stutzte.
„Ich habe Kokosmilch-Tee noch nie getrunken.“
„Na, dann ist das doch die Gelegenheit. Was hältst du davon, wenn wir uns übermorgen am Community-Gate treffen und ich lade dich ein?“
Anakos überlegte kurz.
„Also, ich muss zwar noch meine Grotte einrichten, aber übermorgen geht in Ordnung. Soll ich irgendwas mitbringen?“
Hydri schüttelte den Kopf.
„Nur ein bisschen Zeit. Vielleicht zur Nachmittagsebbe?“
„Abgemacht. Ich komme dann zum Community-Gate.“
„Einverstanden. Ich hole dich dort ab.“
Anakos blubberte erfreut, dann schwammen sie aus der Schatzhöhle hinaus. Hydri verschloss gewissenhaft die Simse und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu den Grottenausstattern. Anakos war überwältigt von dem schieren Angebot und war sehr dankbar, dass Hydri ihn begleitete. Vollgepackt mit Seetangbeuteln paddelte Anakos zufrieden nach Hause zurück, während Hydri ihm nachwinkte. Er freute sich schon auf den Kokosmilch-Tee.
Episode 3 kommt am 24.10.2021!
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