Update: Hier ist die 3. Episode von "Die Abenteuer von Anakos Trippelklemm"
Ich grüße Euch, verehrte*r Anonymous!
Heute präsentiere ich euch die neue Episode von "Die Abenteuer von Anakos Trippelklemm". Diesmal wird es ein wenig märchenhafter zugehen, denn Anakos probiert nicht nur zum ersten Mal Kokosmilch-Tee, sondern er muss sein Häuschen wechseln und erlebt dabei eine Überraschung. Aber lest selbst:
Anakos Trippelklemm und die Magische Bibliothek, Episode 3 (ca. 4500 Wörter):
Als Anakos an diesem Morgen erwachte und sich träge aus seinem Sandbett erhob, flüsterte ihm die frische Morgenströmung, die seine Grotte mit Plankton und anderen Delikatessen versorgte, leise zu: Heute wird etwas Außergewöhnliches passieren, etwas das dich, Anakos, für immer verändern wird.
Verschlafen putzte Anakos sich den letzten Sand von den Scheren. Er streckte und reckte sich, dann blubberte er ungehalten. Sein Rücken zog, ziepte und zerrte. Vermutlich wurde sein Häuschen zu klein. Anakos trippelte aus seiner Schlafnische und gönnte sich ein paar Algen-Chips, bevor er seinen Beutel packte. Heute wollte er sich mit Hydri zum Tee trinken treffen. Auf dem Kori-Markt, so hatte Hydri ihm erzählt, gäbe es ein kleines Bistro, dessen Kokosmilch-Tee der Beste im ganzen Riff sei. Anakos knabberte seine Chips zu Ende und spülte die Reste mit einem Seetang-Drink herunter. Dann schaute sich noch einmal um. Seine neue Grotte hatte mittlerweile etwas Heimeliges bekommen. Hier eine neue Leuchte, da ein neues Sandkissen. Dort, wo es vor ein paar Tagen noch kühl hineinzog, hingen jetzt dicke Seegras-Vorhänge. Anakos prüfte, ob er auch nichts vergessen hatte, befestigte schließlich gewissenhaft seinen Beutel und verließ seine Grotte. Am Strand begegnete er Liwa, der ihm einen schönen Tag wünschte und hinterher winkte als Anakos ins Wasser hopste und los paddelte.
Wie gut, dass er etwas früher wachgeworden war, so konnte er die Strömungen der Flut ausnutzen.
Vor ihm öffneten sich die glitzernden Tiefen des Ozeans. Im Fruchtinsel-Graben wimmelte es nur so vor Fischklassen, die sich aufmachten, um von den Erwachsenen die Überlebenstricks zu erlernen. Anakos paddelte langsam an ihnen vorbei und beobachtete, die mehr oder weniger geschickten Versuche der Kleinen, sich im Fruchtinselgraben zurechtzufinden. Schließlich erreichte er die Wasserrinne, die ihn direkt zum Kori tragen würde, hielt sich an einer Wasserschildkröten-Reisegruppe fest und ließ sich gemütlich mitziehen. Die Wasserstraße glitzerte und schillernde Luftblasen stiegen nach oben. Die Strömung transportierte sämtliche Meeresvölker schwungvoll von A nach B. Doch in den letzten Gezeiten hatten die Strömungen in den Hauptrinnen nachgelassen, so dass es mittlerweile länger dauerte, vom Kori aus weiter in andere Gebiete zu kommen. Niemand konnte sagen woran das lag. Auch die magischen Meerwesen standen vor einem Rätsel. Anakos überlegte, was passieren würde, wenn die Strömungen ganz verschwinden würden. Dann müsste er den ganzen Weg zum Kori paddeln, ganze fünf Gezeiten würde das dauern und er müsste unterwegs in einem fremden Unterschlupf übernachten. Anakos prustete einen Schwall Wasser aus. Allein der Gedanke daran, bereitete ihm Unbehagen. Nicht wegen des Paddelns, sondern wegen des fremden Unterschlupfs. Er liebte seine Grotte und konnte sich gar nicht mehr vorstellen in fremdem Sand zu schlafen. Doch er schüttelte diese unangenehmen Gedanken ab, während die Strömung ihn mit starkem Sog hinab zog und nach einer Weile, konnte er die Ausläufer des Koris endlich sehen. Wie verabredet, erwartete Hydri ihn am Community-Gate. Anakos winkte ihr zu, während er sich von der Strömung die letzten Flossenschläge bis zum Gate treiben ließ.
„Guten Morgen, Anakos!“
„Guten Morgen!“
„Und? Bist du bereit?“
„Wozu?“
„Dich einem neuen Geschmack in deinem Leben hinzugeben?“
Anakos beäugte Hydri erst etwas misstrauisch, doch dann klapperte er mutig mit den Scheren.
„Ich bin bereit.“
„Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen.“
Sie machten sich auf den Weg durch das Gate, schlängelten sich durch die Gassen und Rinnen des Kori-Marktes, lachten und scherzten, bis Hydri schließlich in eine mit rosafarbenen Korallen gesäumte Allee einbog und vor einem etwas unscheinbaren Bistro anhielt.
„Hier gibt es den besten Kokosmilch-Tee des ganzen Koris, ach was, den Besten im ganzen Ozean, wenn du mich fragst.“
Anakos studierte den aus buntem, durchsichtigem Perlmutt bestehenden Aushang: Miesmuschelbrei, gezuckerte Plankton-Watte, Algen-Filets und Sepia-Seegrasnudeln . Das klang alles sehr …
„...teuer…“, murmelte Anakos und zählte in Gedanken seine Kori-Dollar, die er bei sich hatte. Kori-Dollar waren kleine, feingeschliffene Täfelchen aus Vulkangestein, die neben dem Tausch von Dingen von allen Meeresvölkern benutzt wurden. Hauptsächlich für Luxusdinge, wie etwa Essen in Bistros. Hydri schüttelte den Kopf:
„Ab und zu sollten wir uns im Leben durchaus etwas gönnen. Außerdem hatte ich dir versprochen, dich einzuladen. Na, komm!“
Sie stupste Anakos mit ihrem Schwanzende weiter, so dass dieser durch die Dreh-Pforte taumelte. Hydri bestellte bei einem noch sehr verschlafen blubbernden Bartender, einem Clownfisch, zwei Kokosmilch-Tees und bugsierte Anakos an einen kleinen Tisch in der Nähe der Theke.
Anakos schaute sich neugierig um. Es war sehr gemütlich hier. Die Tische standen jeweils in eigenen Separees. Diese Separees gab es in verschiedenen Größen, so dass nicht nur das Kleingetier, sondern sich auch größeres Meervolk wohlfühlte. Er schaute neugierig zur Bar hinüber.
Der Bartender, der gerade dabei war ihren Tee zuzubereiten, goss vorsichtig Algentee und Kokosmilch abwechselnd ein, so dass mehrere elegante Schichten entstanden: Erst eine smaragdgrüne, dann eine schaumkronenweiße, dann wieder eine grüne und so weiter. Als die durchsichtigen Obsidian-Gläser voll genug waren, dekorierte der Bartender sie mit Plankton-Flocken und bunten Korallen-Streuseln. Anakos spürte, wie seine Fühler vibrierten. Das würde sein allererster Kokosmilch-Tee werden! Blubbernd beobachtete er, wie der Bartender die Korallen-Streusel über die Plankton-Flocken gab, das Tablett nahm und auf ihren Tisch zusteuerte.
„Bitte sehr. Zwei Mal Kokosmilch-Tee.“
Anakos starrte fasziniert auf das Glas, in dem sich cremiges Weiß mit funkelnden Grün perfekt ausbalancierten.
„Wie haben sie das gemacht?“, platzte es aus ihm heraus.
Der Bartender schaute ihn etwas irritiert an.
Anakos klapperte so enthusiastisch mit seinen Scheren, dass der Bartender unwillkürlich zurückwich.
„Was, was meinen sie?“
„Ich meine, diese Schichten, wie machen sie das, dass sie nicht ineinander laufen?“
„Ach, dass ist ganz einfach. Sie müssen auf die Dichte der unterschiedlichen Zutaten aufpassen, dann geht so was.“
Anakos blickte abwechselnd von seinem Glas zu dem Bartender und dann zu Hydri. Hydri lachte, dann sagte sie:
„Warte ab, bist du probiert hast.“
Anakos beäugte sein Glas ehrfürchtig.
„Das kann ich doch nicht einfach so weg trinken. Das ist doch viel zu Schade.“
Jetzt musste auch der Bartender lachen.
„Hören sie auf Hydri. Sie hat recht. Es wäre eine Verschwendung, wenn sie den Tee nicht trinken.“
Anakos blickte überrascht zu Hydri.
„Ihr kennt euch?“
Hydri nickte.
„Anakos, darf ich dir Peppi vorstellen? Er ist ein Kollege von mir und der beste Kartograph, den ich kenne.“
Der Bartender schaute verlegen zu Boden.
„Ach Hydri, jetzt übertreibst du aber. So gut bin ich nun auch wieder nicht.“
„Peppi, das hier ist Anakos. Er wohnt seit Kurzem auf der Fruchtinsel und hat mir schon aus der Patsche geholfen.“
„Typisch Hydri. Was hast du diesmal wieder angestellt?“
„Ich? Gar nichts. Es war nur ein Missverständnis.“
Peppi schaute skeptisch, aber fragte nicht weiter nach.
Anakos Blick huschte zwischen Hydri und Peppi hin und her, dann hielt er Peppi eine Schere hin.
„Äh…., freut mich….freut mich sie kennenzulernen.“
Peppi ergriff mit beiden Flossen Anakos Schere und schüttelte sie freudig.
„Ganz meinerseits. Aber nenn mich doch Peppi. Kein Grund förmlich zu sein.“
Hydri nickte zufrieden und machte sich über ihren Tee her.
„Hmm, wie lecker. Peppi, dein Tee ist der Beste des ganzen Koris!“
Hydri sah so glücklich aus, dass Anakos sämtlich Zurückhaltung sausen ließ. Er nahm das Glas vorsichtig in seine Scheren und trank einen Schluck: Ein würzig, leicht salzig-süßes Aroma breitete sich in seinem Mund aus und wärmte seinen Hals.
„Sehr köstlich!“
„Nicht wahr?“
Hydri lehnte sich zufrieden zurück und nippte weiter an ihrem Tee. Langsam füllte sich das Bistro und Peppi musste wieder hinter die Bar. Anakos genoss den Tee. Sie unterhielten sich noch eine Weile, bestellten noch eine zweite Runde und Hydri erzählte begeistert von ihren Plänen, in der kommenden Woche endlich der Schatzsuchenden-Gilde beizutreten.
„Insgesamt ist diese Arbeit ziemlich einsam. Wenn ich der Gilde beitrete, bekomme ich umsonst Unterstützung und meine Geschwister sind mitversichert, wenn mir mal was passieren sollte.“
Anakos klapperte unbehaglich mit seinen Scheren.
„Ist das Schatzsuchen so gefährlich?“
„Das kann es werden, muss es aber nicht. Ich denke nur an die Zukunft.“
„Ich verstehe.“
Hydri trank ihren Tee aus und ihr Blick fiel auf die, über der Tür hängende Wasseruhr, die die Mittagsgezeit ankündigte.
„Oh, so spät schon? Ich muss doch noch zu den Heringen, die Miete zahlen. Es tut mir leid Anakos, ich bin so eine vergessliche Schlange. Aber ich muss los. Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht…“
Anakos setzte seine leeres Glas vorsichtig auf den Tisch und meinte:
„Aber nein. Der Tee war köstlich und außerdem muss ich noch meine Grotte putzen. Wir können uns ein andermal wieder treffen.“
„Puh, dann bin ich aber erleichtert.“
Sie standen auf, Hydri bezahlte, dann verabschiedeten sich von Peppi. Als sie das Bistro verlassen hatten, meinte Hydri:
„Ich bringe dich erst zum Gate, bevor ich zu den Heringen schwimme.“
„Das ist sehr lieb von dir. Ich würde mich bestimmt nur wieder verpaddeln.“
Anakos wurde rot und paddelte neben Hydri her. Hydri nickte verständnisvoll.
„Ja, ich habe auch etwas Zeit gebraucht, um mich hier zurecht zu finden. Aber, hier entlang.“
Anakos versuchte sich den Weg vom Bistro zum Community-Gate zu merken, doch immer wenn er so etwas versuchte, scheiterte er. Es war wie verhext. Sobald er die Fruchtinsel und den Graben verließ, streikte sein innerer Kompass und auf dem Kori war es besonders schlimm. Anakos konnte sich seine Orientierungsschwäche nicht wirklich erklären. Vielleicht war er einfach ein unnormales Seetierchen, das ohne Richtungsantenne geboren worden war. Aber auf Hydri war Verlass und bald schon sahen sie das Gate.
Anakos verabschiedete sich von Hydri und ließ sich, wie am Morgen, von der Strömung nach Hause tragen. Ihm fiel auf, wie sehr sein Rücken schmerzte und dachte, Ich brauche dringend ein neues Häuschen.
Genau in diesem Moment, als er das dachte, erfasste ihn der Sog eines riesigen Sardellen-Schwarms und wirbelte ihn herum. Anakos fiel fast aus der Rinne. Er paddelte verzweifelt gegen den Sog an, konnte aber nicht verhindern, dass er gegen einen großen, mit abgestorbenen Schwämmen überzogenen Felsen stieß. Er hörte, wie sein Häuschen erst über die Oberfläche schrappte, dann fühlte er plötzlich, wie sein Häuschen an einem besonders kantigen Schwamm hängenblieb. Ein lautes Knirschen, dann eisige Kälte, sein Rücken hörte zwar auf zu schmerzen, dafür fror er jämmerlich. Seine Stielaugen schnellten nach hinten. Sein Häuschen war weg. Hängengeblieben an der kantigen Felsoberfläche, doch die Strömung trug ihn immer schneller davon und sein weicher, sensibler Leib war der Kälte des Ozeans schutzlos ausgeliefert. Das einzig Gute war, dass ihn die Strömung zuverlässig zum Fruchtgraben und damit zur Insel trug.
Anakos bibberte und betete zu Neptun, dass kein Raubfisch in der Nähe war. Mittlerweile setzte die Flut ein und Anakos ließ sich von der Strömung erschöpft in seine Grotte tragen. Der Tag hatte so gut angefangen und endete in einem Desaster. Er bibberte und klapperte wütend mit seinen Scheren. Wenigstens war er jetzt in seiner heimeligen Grotte, aber natürlich hatte er auch seinen Geldbeutel verloren. Wie gut, dass er sicherheitshalber einen gewissen Vorrat angelegt hatte. Er ließ sich in seiner Essnische nieder und starrte trübsinnig vor sich hin. Dann erhob er sich und krebste langsam und schwerfällig zu seinem Vorratsloch und kramte darin herum.
„Da ist ja mein Wärmekieselkissen…“, murmelte er erleichtert. Er nahm sich noch eine Portion Miesmuschelbrei und wollte sich gerade wieder hinsetzten, als ihm plötzlich auf seinem Sandbett ein Glitzern auffiel.
Anakos hielt inne und beäugte das bunte Flackern. Zögernd trippelte er ein paar Schritte näher. Hatte er hier irgendetwas Wertvolles liegen lassen? Zögernd streckte Anakos seine langen Fühler aus. In dem Glitzern und Funkeln konnte er einen Schemen ausmachen. Er rückte näher bis seine Fühler auf eine harte Fläche trafen. Er tastete die Fläche vorsichtig ab.
„Hihi.“
Anakos hörte ein Kichern. Er hörte auf zu tasten und lauschte, doch es blieb still. Anakos wurde unbehaglich. Vielleicht bekam es ihm nicht, so lange ohne Häuschen zu sein? Vorsichtig tastete er weiter.
„Hihi.“
Da war dieses Kichern wieder. Anakos rückte noch näher heran und streckte vorsichtig seine Schere aus, dann stupste er gegen die harte Fläche und ein Schneckengehäuse rollte aus dem Funkeln und Glitzern heraus. Es schimpfte:
„Wie unhöflich!“
Anakos wich erschrocken zurück.
„Da werde ich doch glatt aus meinem Nickerchen gerissen und ohne meine Einwilligung betatscht. Und als wäre das noch nicht genug, werde ich auch noch durch die Gegend geschubst. Nicht zu fassen!“
Das Schneckengehäuse war ein wunderschönes, gleichmäßig gedrehtes Gehäuse, und schimmerte leicht in einem herrlichem grau-blau-grün, und ..., Anakos klapperte etwas verunsichert mit den Scheren... es konnte sprechen? Zumindest bildete Anakos sich ein, eine etwas ungehaltene Stimme vernommen zu haben. Er krebste in einem Halbkreis um das Gehäuse, dass mittlerweile von seinem Sandbett gerollt war, herum. Es drehte sich mit. Anakos blieb stehen, das Gehäuse verharrte. Anakos macht ein Schritt nach links, das Gehäuse neigte sich in dieselbe Richtung. Anakos hockte sich direkt vor das Gehäuse, doch er konnte in der dunklen Öffnung des Schneckenhauses nichts erkennen. Er räusperte sich leise und begann zaghaft:
„Entschuldigung?“
Das Gehäuse kippte ein wenig zur Seite, so als ob es beleidigt wäre und ihm die kalte Flosse zeigte. Anakos blubberte ein wenig ratlos, doch dann versuchte er es noch einmal.
„Entschuldigung, wenn ich … sie in irgendeiner Weise gekränkt habe. Darf ich fragen, was sie in meiner Grotte machen?“
Das Gehäuse kullerte vor Anakos hin und her. Seine Stielaugen folgten der Bewegung. Schließlich seufzte es.
„Die Flut hat mich hierher getragen und ich habe mich ein wenig ausgeruht. Zwar habe ich sie nicht um Erlaubnis gefragt, aber mussten sie mich gleich betatschen?“
Anakos wurde rot und blubberte verlegen.
„Ich bitte um Entschuldigung. Ich war mir nicht sicher, ob sie mir freundlich gesonnen sind und da habe ich rein instinktiv meine Fühler benutzt.“
Das Gehäuse drehte sich empört im Kreis.
„Ich bin das freundlichste Wesen überhaupt! Wie können sie mir nur unlautere Absichten unterstellen. Ich bin die friedlichste und zuvorkommendste Bibliothek, die ein lebendiges Wesen treffen kann. Ich muss doch sehr bitten.“
„Sie sind eine was? Bibo…thek?“
„Bibliothek. Noch nie etwas von Büchern und Ausleihe gehört?“
Anakos schwirrte der Kopf und er erwischte sich dabei, dass er dachte, dass er jetzt sehr froh wäre, wenn Liwa oder Hydri hier wären. Das Gehäuse drehte sich einmal schwungvoll, so dass Anakos ein wenig Sand ins Gesicht bekam. Er schüttelte sich. Dann neigte sich das Gehäuse näher und flüsterte verschwörerisch:
„Sie sind doch ein Einsiedlerkrebs. Brauchen sie da nicht ein Schneckenhaus? Ich sehe gerade, dass sie scheinbar keines haben. Sind sie zufällig auf der Suche nach einem neuen Gehäuse?“
Anakos zögerte kurz, doch dann gab er zu:
„Ja. Mein altes Haus ist leider kaputt.“
Das Gehäuse kicherte, machte eine kleine Drehung und neigte sich ein wenig nach vorne.
„Ich bin Iria und eine magische Bibliothek. Da ich gleichzeitig ein Schneckenhäuschen bin, möchte ich ihnen anbieten, ihr neues Häuschen zu werden. Ich scheine wohl zum rechten Zeitpunkt in die richtige Grotte gespült worden zu sein. Was halten sie von meinem Vorschlag?“
„Aber, aber sie erscheinen mir ein wenig klein?“
„Papperlapapp. Ich zeige ihnen, dass das nicht der Fall ist.“
Und mit einem eleganten Hüpfer setzte sich Iria auf seinen Rücken. Anakos traute sich nicht, sich zu rühren, doch dann spürte er, wie ihm langsam wärmer wurde. Iria hatte sich an seinen Leib ohne Schwierigkeiten angepasst.
„Das ist ja nicht zu glauben.“, flüsterte Anakos entgeistert.
Iria rutschte solange auf ihm herum, bis sie es sich bequem gemacht hatte.
„Ich bin eine magische Bibliothek. Größenanpassung ist nur eines meiner unzähligen Talente, Herr … Einsiedlerkrebs.“
„Oh, ich heiße Anakos. Und leicht sind sie auch.“
Anakos klapperte freudig mit seinen Scheren und genoss die Wärme, die Iria ausstrahlte.
„Also, Herr Anakos. Jetzt wo wir uns auf ein zukünftiges Zusammenleben geeinigt haben. Was werden wir heute noch so unternehmen?“
Anakos blubberte erstaunt und ließ seine Stielaugen rotieren, bis er sein neues Häuschen auf seinem Rücken sehen konnte.
„Ich komme gerade erst vom Kori und eigentlich wollte ich mich ausruhen, bevor ich Liwa, den Dorfvorsteher-Krebs besuche.“
Iria strahlte plötzlich. Zumindest kam Anakos das so vor.
„Also, haben wir spannende Pläne? Da bin ich aber erleichtert.“
„Warum erleichtert?“
„Tja, sehen sie, Herr Anakos, als magischer Gegenstand muss ich gepflegt werden, sonst versiegt meine Kraft und ich schrumpfe ein. Das wirksamste Mittel mich in Schuss zuhalten, ist Abenteuer-Energie.“
Anakos blinzelte irritiert.
„Ich kann nicht folgen, fürchte ich.“
Iria seufzte und Anakos bemerkte, wie ihr Strahlen nachließ und sie sich langsam dunkel färbte, so als würde sie sich an etwas Schlechtes erinnern.
„Ich fange besser ganz von vorne an. Aber das wird eine sehr lange Geschichte. Warum machen sie es sich nicht bequem, während ich ein wenig von mir erzähle?“
Anakos blubberte zustimmend, nahm sich etwas gesüßte Plankton-Watte und machte es sich in seiner Essnische bequem. Unterdessen fing Iria an zu erzählen:
„Vor langer, sehr langer Zeit erschuf mich ein Zauberer. Er gab mir den Zweck Schriften verbotener Magie aufzubewahren. Die magische Welt jenseits des Ozeans ist kompliziert und es würde mich Jahre kosten ihnen alle Details zu erklären, deshalb beschränke ich mich auf das Wesentliche. Mein Zauberer behandelte mich sehr gut und wir verbrachten ein paar glückliche Jahre zusammen. Die Sammlung in mir wuchs und wuchs. Ach, sie haben vermutlich noch nie etwas über Schriften, Bücher und Ausleihe gehört?“
Anakos, der gerade an seiner Plankton-Watte gemümmelt hatte, klapperte nachdenklich mit den Scheren.
„Ich kenne die Tintenschrift, aber was sind Bücher und Ausleihe?“
Iria seufzte verzückt.
„Ich kann ihnen gerne hier drin alles zeigen, dann ist es einfacher zu verstehen. Kommen sie nur herein, sie brauchen gar nicht schüchtern sein.“
Anakos schluckte den Rest der Plankton-Watte hinunter und zog sich vorsichtig ins Häuschen zurück. Es war ein seltsames Gefühl. Es war sein Häuschen und doch auch wieder nicht. Ob er sich jemals daran gewöhnen würde… Anakos verharrte an Ort und Stelle. Vor ihm tat sich ein riesiger Raum auf, der Hydris Schatzhöhle ähnelte. Anakos rutschte überrascht wieder aus der Öffnung. Nein, Iria saß ganz passend auf seinem Hinterleib. Er schlüpfte wieder zurück und fühlte sich in dieser ausgedehnten Höhle sofort klein und verloren. Ungläubig rotierten seine Stielaugen hin und her, er schwankte von rechts nach links und seine Scheren klapperten entgeistert, als hätten sie sich selbstständig gemacht.
„Drinnen sind sie ja größer, als von außen!“
Iria lachte.
„Andersherum wäre es ja extrem unpraktisch. Ich sagte doch, dass ich eine magische Bibliothek bin.“
Anakos schüttelte seine Scheren und kroch wieder zurück. Diesmal schaute er sich gründlicher um, während Iria ihm alles erklärte: Was genau ein Buch und eine Schrift, ein Regal, eine Sortierung, eine Katalogisierung und die Ausleihe war. All diese neuen Eindrücke brachten Anakos Kopf zum Schwirren, doch gleichzeitig konnte er nicht genug davon bekommen und eine Sehnsucht die Welt aus der Iria stammte, einmal mit eigenen Stielaugen betrachten zu können, sank tief in sein Innerstes und pflanzte einen ersten Keim eines vagen Verständnisses dafür, dass Iria Abenteuer–Energie zum Leben brauchte, in seinen Kopf. Anakos wandelte immer tiefer in das, sich scheinbar ins Unendliche erstreckende Häuschen. Er beäugte die kunstvoll beschlagenen Einbände dieser meist sehr dicken Bücher, sog den Geruch von - wie hieß dieses Material noch gleich, ach ja, Papier und Tinte - ein, starrte begeistert auf die verschlungenen Buchstaben, die er zwar nicht entziffern konnte, die ihn aber anzogen, wie ein wildes Planktonfeld.
Anakos hielt den Atem an, während Iria immer weiter erzählte und er immer tiefer in die Bibliothek hinein krabbelte. Regal reihte sich an Regal und schließlich blieb Anakos wie angekalkt stehen.
Das Regal war schmal und mit bauschigen Ornamenten dekoriert, in denen Anakos elegante fliegende Tierchen sehen konnte. Eines dieser Tierchen stach ihm sofort ins Auge. Es war so weiß, wie die Gischt, die den Fruchtinselstrand berührte. Ein schwarzer Schnabel gab diesem Seevogel etwas Markantes, Kluges. Die dunklen Augen glitzerten geheimnisvoll und mutig. Anakos erwischte sich dabei, wie er darüber grübelte, ob es etwas gab wovor dieser Flugkünstler Angst hatte.
„Wer ist das?“
„Dieser Vogel? Oh, das ist mein Retter. Er ist ein Sturmpirat. Bedauerlicherweise kenne ich seinen Namen nicht.“
Anakos tastete mit seinen Fühlern die Silhouette des Vogels ab und flüsterte sehnsüchtig:
„Dann ist er so weit herum gekommen wie sie?“
„Nun, ich denke eher nicht. Dafür ist er viel zu jung. Aber er hat mich wirklich gerettet. Doch ich hatte nie die Gelegenheit mich bei ihm zu bedanken. Deshalb kenne ich leider seinen Namen nicht. Aber ich kann ihnen versichern, dass er ein mutiger Vogel ist.“
Anakos vibrierte erwartungsvoll.
„Wollen sie davon erzählen?“
Doch zu seiner Überraschung, fuhr Iria nicht direkt fort, sondern schien für einen Moment still nachzudenken. Anakos betrachtete solange eingehend den Sturmpiraten. Dieser gewitzt aussehende Flieger war ganz vorne in die bauschigen Ornamente eingraviert worden und sah so lebendig aus, dass Anakos sich einbildete, das Abbild würde mit den Flügeln schlagen. Eigentlich waren diese Seevögel gefährlich, doch Anakos konnte sich nicht dazu bringen, dieses makellose Wesen als Bedrohung anzusehen. Vielleicht lag das daran, dass er gerade in seinem gemütlichen, neuen Häuschen saß und seine Ruhe hatte.
„Ich würde diese Sturmpiraten gerne mal kennenlernen.“, flüsterte Anakos fasziniert.
„Vielleicht wird das eines Tages sogar passieren. Herr Anakos, sie sind doch im Grunde ihres Herzens ein Abenteuer-Krebs. Ich würde mich auf ihrem Rücken nicht so wohl fühlen, wenn dem nicht so wäre.“
Iria klang nachdenklich.
„Vielleicht haben sie recht und ich sollte ihnen die Geschichte erzählen, wie mich einst ein Sturmpirat, der Schrecken aller Seevögel und allen Meeresgetiers, vor dem sicheren Tod bewahrte und … ich mich nicht bedanken konnte.“
Anakos schwieg. Diesmal klang Iria eindeutig traurig.
„Was ist denn passiert?“, fragte er vorsichtig.
Iria seufzte tief.
„Mein Herr war eigentlich ein guter Zauberer. Bis zu dem Tag als das Ungeheuer zuschlug.“
Anakos hielt den Atem an:
„Ein Ungeheuer?“
„Ja, ein Ungeheuer. In den Büchern wird es als Glasspinne bezeichnet. Dieses Ungeheuer sollte versiegelt werden, doch bevor es dazu kam, brach es aus und richtete großen Schaden an. Mein Herr bediente sich schließlich an den verbotenen magischen Schriften, doch bevor er es schaffte, das Ungeheuer endlich zu bannen, fiel es über seine Familie her. Seitdem war nichts mehr wie zuvor.“
„Das ist ja schrecklich.“, flüsterte Anakos.
„Eines Tages verlor mein Herr die Beherrschung und verwüstete seine Hütte. Er hatte sich dorthin zurückgezogen nach dieser Tragödie. Die Hütte stand am Meer und ab und zu vergaß er, dass es mich gab und ich lag öfter auf einer Bank, die vor der Hütte stand. Eines Tages ließ sich ein Sturmpirat neben mir nieder und wir begannen ein Gespräch. Zuerst war ich sehr, sehr misstrauisch, doch nach und nach lernte ich ihn besser kennen. Jedoch habe ich ihn nie nach seinem Namen gefragt. Ich hielt es nicht für wichtig. Wichtig war, dass wir reden konnten. Er hatte wundersame Geschichten zu erzählen, über die Freiheit zu leben wie es einem gefällt. Und ich hörte zu und dachte, wenn mein Herr davon wüsste, vielleicht würde es ihm wieder besser gehen. Und so fing ich an, ihm von den Sturmpiraten zu erzählen. Doch mein Herr wollte nichts darüber hören. Sein Leben habe ohne seine Familie keinen Sinn und irgendwann, fing er an, nach und nach seine Magie aufzugeben und seine Abenteuerlust versiegte. Ich schrumpfte immer weiter, aber es war ihm wohl egal. Als ich nur noch so groß wie ein Kieselstein war, vergaß mein Herr mich wieder auf der Bank. Ich war kaum noch bei klarem Bewusstsein, als ich Flügelschläge über mir hörte. Dann spürte ich nur noch wie ich hochgehoben wurde und sah kluge dunkle Augen aufblitzen, bevor ich endgültig das Bewusstsein verlor. Es war der Sturmpirat, der mich regelrecht entführte und mir so das Leben rettete. Doch als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Grund des Ozeans und dann trieb mich die Strömung zu ihnen, Herr Anakos... Ich konnte mich nicht einmal bei ihm bedanken.“
Iria hörte so plötzlich auf zu erzählen, dass Anakos sich einsam fühlte. Er blubberte mitfühlend, dann meinte er:
„Ich verstehe. Sie hatten großes Glück es bis hierher zu schaffen. Der Sturmpirat scheint mir ein gutes Tier zu sein. Vielleicht treffen wir ihn eines Tages, dann können sie sich bedanken. Ich bin bisher noch nicht dazu gekommen, aber auf gutes Zusammenleben Iria.“
Iria kicherte leise.
„Ganz meinerseits, Anakos.“
Anakos krabbelte langsam aus dem Häuschen heraus und bemerkte mit Schrecken, dass es schon auf die Abendgezeit zuging.
„Ach beim Neptun. Jetzt hätte ich Liwa fast vergessen. Vielleicht kann er uns helfen, ihren Sturmpiraten zu finden.“
„Das wäre wirklich schön.“
„Dann beeilen wir uns jetzt besser.“
Anakos putzte sich einmal durchs Gesicht, dann schlang er hastig die Portion Muschelbrei, die er ebenfalls fast vergessen hätte, hinunter und trippelte hastig zum Fruchtinselstrand.
„Wie heißt diese Gegend hier?“
„Oh, wir sind hier auf der Fruchtinsel und das Gebiet drumherum ist der Fruchtinselgraben, der am Kori endet.“
„Kori?“
„Das ist das größte Korallenriff, im Umkreis von vielen Walometern. Aber das werden sie noch sehen, wenn wir meine Freundin Hydri besuchen.“
„Oh, sie haben eine Freundin?“
„Ja und wir verstehen uns sehr gut. Wir helfen uns gegenseitig aus und trinken zusammen Kokosmilch-Tee. Sie ist eine Schatzsuchende und viel unterwegs.“
„So ist das also. Anakos, sie sind ja vieles, aber bestimmt kein Einsiedler.“
Anakos lachte, wenn auch ein wenig verlegen. Kam er so eigenbrötlerisch rüber? Das war nicht seine Absicht.
„Da haben sie recht. Wenn ich das wäre, dann würde ich ja im Fruchtgraben alles verpassen. Das fühlt sich für mich nicht richtig an. Ich bin schon gespannt, was wir alles zusammen erleben werden.“
„Wir sollten das alles aufschreiben.“
„Auf jeden Fall. Oh, da ist Liwa! Hallo Liwa!“
Liwa stand auf einen kleinen Stock gestützt am Strand und redete mit jemandem. Die Sonne stand mittlerweile etwas tief, so dass sie Anakos blendete. Er blinzelte gegen das Licht. Doch erst als er Liwa fast erreicht hatte, erkannte er, mit wem dieser redete. Iria schnappte nach Luft und Anakos dachte, die Zeit würde stillstehen. Liwa redete mit einem Vogel. Einem schaumkronenweißen Vogel, mit einem schwarzen Schnabel und dunklen, klugen Augen. Liwa drehte sich gelassen um und lächelte.
„Anakos, da bist du ja.“
Anakos trippelte, plötzlich etwas eingeschüchtert näher, und Iria flüsterte:
„Das ist er. Das ist der Sturmpirat, der mich gerettet hat. Ich glaube ich träume…“
Der Sturmpirat beäugte Anakos neugierig und fragte Liwa:
„Das ist er?“
„Ja.“
Der Sturmpirat stolzierte näher und inspizierte Anakos. Sein Blick blieb an Anakos Häuschen hängen und der Sturmpirat bekam große Augen.
„Aber das ist ja das Häuschen aus der magischen Welt! Beim Sylph, du lebst! Da bin ich aber froh. Und du hast auch einen neuen Abenteuersuchenden gefunden?“
Anakos bemerkte, wie Iria auf seinem Rücken zitterte und dann rief:
„Danke! Danke, dass du mich gerettet hast!“
Anakos taumelte von rechts nach links und fürchtete, seine Gehörgänge würden platzen. Der Sturmpirat legte sanft einen Flügel auf sein Häuschen und brachte ihn so zum Stehen. Liwa lachte herzlich, Iria kicherte und Anakos kam das alles sehr märchenhaft vor. Der Sturmpirat räusperte sich schließlich:
„Aber wo bleiben meine Manieren. Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Windgeschwind und lege mit meinem Schwarm für ein paar Wochen eine Pause auf der Fruchtinsel ein. Das mich hier so gute Nachrichten erwarten, ist großartig. Ich hoffe, wir kommen gut miteinander aus.“
Iria jubelte und hörte langsam auf zu zittern, Anakos hatte seine Balance wieder und wandte sich an Windgeschwind:
„Angenehm. Ich bin Anakos.“
Die Sonne versank langsam hinter dem Horizont, während die vier im Gespräch vertieft, Pläne für die kommenden Tage schmiedeten. Anakos war glücklich, dass er in Iria endlich ein neues Häuschen und dazu noch einen neuen Freund gefunden hatte.
(Fortsetzung folgt)
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