Schreib-Challenge #52in23 Update: Kurzgeschichte Nr. 12 oder Die zweite Wunde, Vers VII
Seid gegrüßt verehrte*r Anonymous!
Heute kommt Kurzgeschichte Nr. 12 im Rahmen der Schreib-Challenge oder auch Kurzgeschichte Nr. 2 in der Sammlung Die Chronik des Großen Endes. Es fällt mir doch schwer so konsequent hoffnungslos zu schreiben, aber wenn es gefällt, dann ist ja gut😆. Also, hier entlang:
Die zweite Wunde, Vers VII, Hoffnung:
Wann habe ich zum letzten Mal einen Regenbogen gesehen? Ach ja, es muss zu der Zeit gewesen sein, als du meine Hand genommen und mir einen Ring auf den Finger gesteckt hast. Da verzogen sich die Wolken, doch es regnete weiter, während sich über uns ein glitzernder bunter Regenbogen erhob.
Damals war der Himmel noch blau. Zumindest glaube ich das heute. Doch der Regenbogen ist nur ein altes Foto und der Ring ist längst verkauft. Er hat mir geholfen bis heute zu überleben, nachdem du an dieser seltsamen Krankheit gestorben bist.
Sie haben immer noch nichts dagegen. Warum habe ich eigentlich überlebt? Ich war immer die Kränkliche von uns. Ist das nicht absurd?
Heute ist der Himmel nicht ganz so dunkelrot wie sonst. Das Wetter ist dementsprechend fast schön. Doch ohne Gasmaske und Strahlenschutz ist es draußen tödlich. Und auch die Maske und der Anzug sind nur Makulatur. Ich war seit mindestens 40 Jahren nicht mehr aus dem Haus. Also dem Bunker, der als Wohnung dient.
Die Luft ist tausendfach gefiltert, die Kommunikation zu anderen Sicherheitsanlagen funktioniert schon lange nicht mehr. Die Energie reicht so gerade noch um die Luftfilteranlagen aufrechtzuerhalten. Vor langer Zeit hatte die Wissenschaft genau vor so einem Szenario gewarnt. Egal, was Superreiche auch für Wahnvorstellungen verfolgten, uns wird zuerst die Energie ausgehen. Klar, den einen etwas früher, den anderen etwas später. Doch einen schönen Tod kann sich tatsächlich nur das oberste Prozent leisten. Sonst niemand.
Ich fahre mir über mein verschwitztes Gesicht. Die meisten sterben, weil sie das Blutwasser trinken. Also trinken müssen, weil die zur Neige gehenden Reservoirs nicht mehr gereinigt werden können. Unseres wird bald auch soweit sein. Vielleicht kann ich mich noch ein paar Tage halten, bevor der Durst so quälend wird, dass ich mich nicht mehr unter Kontrolle habe und den Wasserhahn aufdrehe.
Wie ich es drehe und wende, alles ist hoffnungslos. Doch ich habe nicht die Kraft dir zu folgen. Vielleicht war und ist meine Liebe zu dir nie stark genug gewesen. Habe ich überhaupt geliebt? Warum habe ich mir nicht den Strick genommen oder die Pulsadern aufgeschnitten als du deinen letzten Atemzug auf der Isolierstation gemacht hast. Ich habe dich sterben sehen. Stück für Stück. Ich konnte nicht einmal deine Hand halten. Warum bin ich noch hier, nur um in ein paar Tagen zu verdursten oder durch das Blutwasser in ein Monster zu mutieren? Alles ist hoffnungslos.
Aber ich hänge am Leben. wie dünn dieser Faden auch immer seien mag. Doch diese Art der Existenz kann ich nicht Leben nennen. Dass die Hoffnung zuletzt stirbt, ist ein großer Irrtum.
Die Hoffnung ist längst tot.
Für mich starb sie mit dir.
Seitdem bin ich nur noch eine Hülle ohne Seele, doch die Hülle ist stark und will nicht sterben, so lange sie noch atmet.
Meine Zunge ist trocken und mein letztes unbedenkliches Wasser leert sich mit jeder Stunde. Ich vermeide jede Art von Anstrengung und die gefilterte Luft kühlt meinen heißen Kopf. Wie pervers. Ich verdurste, aber die Luft ist angenehm.
Gestern habe ich Lärm in einem der unteren Bunkerräume gehört. Unten leben die Armen. Also, sie vegetieren und jetzt wo das Wasser endet, geht das große Töten los. Ich hab Glück mit meiner Wohnung. Sie liegt in der Anlage etwas abseits, so dass ich die großen Gewaltwellen gut überstehen konnte. Um jetzt zu verdursten. Oder zu mutieren. Es liegt ganz allein an mir. Ich hänge am Leben.
Mein letztes sauberes Wasser ist verbraucht. Ich starre an die Wand meiner Wohnung, höre ab und an Schreie, doch ich rühre mich nicht. Meine Tür ist abgeschlossen und mit einem Regal verbarrikadiert. Ich werde nicht auf diese Art sterben, mit aufgeschlitzter Kehle und gebrochenen Knochen.
Plitsch, plitsch, plitsch.
Das Blutwasser färbt meine weiße Keramikspüle mittlerweile rot. Doch der Geruch, der aufsteigt, die Wohnung und mich einhüllt, ist wie der einer klaren, sauberen Bergquelle. Frisch und rein.
Plitsch, plitsch.
Resistance is futile.
Plitsch!
Ich ertappe mich dabei, wie ich mich an der Spüle hochziehe und meine Zunge, trocken wie Pergament, nach der roten Flüssigkeit ausstrecke. So rein, so frisch, so lindernd. Als sich das kühle Nass wie Balsam in meinem Mund ausbreitet und mir die raue Kehle benetzt, steigt ein triumphales Lachen in mir auf.
Ich hänge am Leben.
Egal in welcher Form.
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