Update: Die Legenden von Grünhain - Kleefee und Kaninchenritter Kapitel 3.2.

Seid gegrüßt, verehrte (-r) Anonymous!

Heute gibt es Kapitel 3.2. meines Projektes "Die Legenden von Grünhain - Kleefee und Kaninchenritter". 

Falls es hier Leser*innen gibt, die Feedback geben wollen, gerne bitte per Mail an haschi1979@web.de. 

Viel Vergnügen beim Lesen!


Kapitel 3

Tinka, Teil 2

Wir machten uns auf den Rückweg, doch ich konnte nicht anders und murrte noch ein wenig vor mich hin. Geduldig hörte Tinka sich meine Schimpftirade an, bis wir vor dem Kieseltor standen, dann umarmte sie mich noch einmal und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn.

„Prinzessin Finara. Ihr seid so klug, ihr werdet schon einen Kompromiss, auch in diesen schweren Zeiten, finden.“

Tinka hatte Recht. Sie hatte ja immer Recht. An diesem Abend dachte ich auch, dass ich nur wieder einen klaren Kopf bräuchte, um die ganze Angelegenheit ordentlich zu klären, ohne mich selbst oder meine Eltern vor den Kopf zu stoßen. Doch diesmal gab es keine Kompromisse mehr. Nur noch harte Fakten. Während ich mir selber leid getan hatte, waren meine Eltern leider nicht untätig geblieben. 

Ich erfuhr direkt beim Abendessen, dass mein Vater schon am nächsten Tag mit Truppenbesichtigungen und einem ersten Strategiegespräch mit Kommandant Leafus beschäftigt sein würde und meine Mutter dem Brautausstatter schon geschrieben hatte. Ich verschluckte mich fast an der Klee- und Kressesuppe. Ich hatte also nur noch während des Hauptgangs und Desserts Zeit, einen Kompromissvorschlag vorzulegen. Als die Bediensteten den Hauptgang aufgetischt hatten und den Raum verließen, räusperte ich mich. Meine Eltern sahen auf.

„Entschuldigt, dass ich jetzt mitten beim Essen davon anfange. Aber ich muss mit euch reden.“

Meine Mutter legte ihren Löffel beiseite.

„Was gibt es denn so Wichtiges, dass es nicht bis nach dem Essen warten kann?“

„Ich habe mitbekommen, dass ihr hinter meinem Rücken Krieg führen wollt, während ich im grünen Spitzenkleid meine Rolle als Braut spielen soll.“

Ich hatte buchstäblich die Hummel durchs Glasdach krachen lassen, doch ich konnte meine Worte nicht mehr höflich einkleiden. Kommandant Leafus hatte recht, ich sollte noch einmal dringend an meiner diplomatischen Rhetorik arbeiten. Doch zu meiner Überraschung erwiderten meine Eltern nichts darauf. Sie machten den Eindruck, als wüssten sie nicht so recht, wie sie mir antworten sollten, also half ich nach.

„Ich möchte eine Erklärung, warum ihr ... eine solche Strategie fahrt, ohne mich einzuweihen.“

Ich wählte meine Worte diesmal mit Bedacht und fügte verhalten hinzu:

„Wozu habt ihr mich denn die ganzen Jahre unterrichtet, wenn ihr jetzt, wo es darauf ankommt mein Wissen anzuwenden, mir keine Chance dafür gebt?“

Mein Vater hob beschwichtigend die Hand und mit einem schwachen Lächeln schüttelte er den Kopf.

„Aber Finara, so darfst du das nicht sehen. Wo wir jetzt schon gemeinsam hier sitzen und in den kommenden Tagen keine Gelegenheit mehr dazu haben werden: Ja, es gibt gewisse Probleme. Nicht nur mit dem Fichtenherrscher. Auch die Königin der Hornissen und der Graf der Ratten führen etwas im Schilde und wir versuchen gerade herauszufinden was. Du weißt ja, dass unser Kleefelden genau im Zentrum von Grünhain liegt. Das bedeutet bildlich gesprochen, dass sich hinter uns die Hornissen, auf der einen Seite die Ratten, auf der anderen Seite der reißende Grünstrom und über uns die Falken befinden. Also auf den Punkt gebracht: Wir sind umzingelt. Die einzige Richtung, die uns noch bleibt, liegt ergo geradeaus. Du kannst mir doch bestimmt sagen, wer dort lebt? Dort geradeaus?“

„...Die Kaninchenritter.“

„Das ist meine Tochter!“

Ich schwieg. Was mein Vater damit sagen wollte war Folgendes: 

Unser Volk saß in einer Falle. Wenn sich alle gegen die Falken in einem Bündnis zusammen schließen würden, wäre der Fichtenherrscher kein großes Problem. Aber mit diesen ganz unterschiedlichen Interessen, schien es, als wäre unser Bündnis mit den Kaninchenrittern das einzig Zuverlässige? Ich konnte mir nur sehr schwer vorstellen, dass dieses feige Rattengeschwader den Schulterschluss mit uns suchen würde. Und was die Königin der Hornissen anging: Ihre Umgangsformen waren mehr als nur zweifelhaft und sie gehörte zu der Sorte Grünhainer, die erst töteten und dann die Fragen stellten. Das machte die Sache in der Tat kompliziert und ich verstand plötzlich, warum mein Vater versucht hatte, mich nicht allzu sehr mit hineinzuziehen. Ich erkannte auch, was er zwischen den Zeilen meinte: Solange unsere Aufklärungsdiplomaten nicht genau herausbekommen konnten, was die anderen Seiten planten, hatte es für meinen Vater keinen Sinn ergeben, mich damit konkret zu behelligen. Die Stimme der Vernunft buchstabierte mir das aus und als hätte Vater meine Gedanken gelesen meinte er:

„Finara, mein Schatz. Ich habe dich nicht informiert, weil ich die Situation für zu unübersichtlich hielt. Wenn ich in den kommenden Tagen mehr in Erfahrung bringen kann, dann...“

Doch ich unterbrach ihn und die Stimme der Vernunft ging im Getöse meines verletzten Stolzes unter:

„Nur weil du vielleicht morgen oder in ein paar Tagen mehr weißt, bedeutet das nicht direkt für mich, dass du mich darüber auch informiert hättest. Immerhin soll ich ja noch die Braut im grünen Spitzenkleid spielen.“

Ich blieb hart. Das hier war zu absurd, um einfach klein beizugeben. Vaters Gesicht verfinsterte sich.

„Achte auf deinen Ton.“

„Oh, das habe ich. Und deine Reaktion zeigt mir nur, dass ich recht habe.“

Wenigstens wusste ich jetzt woran ich war. 

Den Rest des Essens verbrachten wir in eisernem Schweigen, dass selbst meine Mutter nicht zu unterbrechen wagte. Nach dem Dessert stand ich sofort auf, murmelte irgendwas von anstrengendem Tag und Bad nehmen, dann verließ ich den Raum. Draußen holte ich tief Luft und stromerte langsam in Richtung meines Gemaches. Vielleicht hätte ich es doch etwas anders formulieren sollen, dachte ich, während ich durch die, mit Kerzen sanft erleuchteten, Flure streifte. 

Ich ertappte mich dabei, dass ich ehrlich versuchte, mich an diesen Kaninchenprinzen zu erinnern. Irgendwie war er ja die Ursache für meine Sorgen, doch plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf und ich verharrte mitten im Schritt. Was wäre, wenn er ebenfalls dieses ganze Hochzeitsgehummele nicht wollte? Wer sagte mir denn, dass dieser faule Rammler nicht auch für immer ein fauler Rammler bleiben wollte? Wer garantierte mir, dass wir jemals mehr als nötig miteinander sprechen würden und wer wagte es zu behaupten, dass Prinz Ich-will-nur-faul-hier-liegen-und-mir-den-Bauch-mit-zarten-Kleeblüten-vollschlagen nicht auch entsetzt von der Idee unserer Eltern war? Dieser Gedanke setzte sich in einer kleinen Ecke meines Kopfes fest und ließ sich nicht mehr vertreiben. Ich konnte mir zwar durchaus vorstellen, dass wir in Zukunft „nur“ als reine Bündnispartner zusammenarbeiteten. Immerhin funktionierte das ja schon seit einigen Blütenzyklen zwischen unseren Völkern. Also warum sollten wir da eine Ausnahme sein. Aber unter einem Dach leben? Tagein, tagaus? Tisch und Bett teilen? 

Irritiert schüttelte ich heftig den Kopf, stapfte energischen Schrittes die Treppe zu meinem Gemach hoch und bemerkte überrascht, dass Tinka schon mit Kleeseife und Flaumtuch bereit stand. Durch das Kerzenlicht im Flur glänzte ihr Zopf wie das gebürstete Fell einer starken Hummel und ich musste mich beherrschen, nicht einfach nach ihrem Zopf zu greifen um daran herumzuspielen. Tinka lächelte, machte eine einladende Geste und meinte:

„Euer Bad wartet schon auf euch.“

„Danke, Tinka!“

Gemeinsam gingen wir an meinem Gemach vorbei. Dann betraten wir das Bad am Ende des Flures. Das Bad war großzügig mit Mohn- und Enzianblüten dekoriert und das sanfte Licht der Bienenwachskerzen verströmte leise Gemütlichkeit. Die Badewanne war mitten im Raum in den Kieselboden eingelassen und ein lichtdurchlässiges Mythril-Fenster enthüllte den sternenklaren Nachthimmel über uns. Wenn man die drei Treppenstufen in der Wanne hinabstieg, ging einem das Wasser bis zur Brust. Am Rand der Wanne, unter der Wasseroberfläche, befanden sich reihum Marmorbänke. Im Kieselboden des gesamten Bades waren Wärmeröhren aus, mit Feenstaub angereichertem, Kupfer verlägt, so das der Raum und die Wanne mit dem Wasser nicht auskühlten. Der Duft von Honigtau erfüllte das leicht dampfende Wasser, strich sanft über meine glühenden Nerven und verhieß wohlverdiente Tiefenentspannung. Ich atmete tief ein und aus und nestelte schon ungeduldig an meiner Uniform. Tinka legte das flauschige Badetuch beiseite.

„Prinzessin Finara, darf ich?“

Tinka half mir aus meiner Uniform, löste meine hochgesteckten Haare und stupste mich spielerisch unter die, einer Orchideen-Blüte nachgebildeten, Wasserbrause. Ich war so tief in Gedanken versunken, dass ich nicht einmal bemerkte wie Tinka die Brause anstellte, die Temperatur prüfte und mich abbrauste. Erst als sie anfing, mit der nach frischem Klee duftenden Seife, meine Haare zu waschen, kam ich ein wenig zu mir. Ich spürte, wie Tinkas Fingerspitzen meinen Kopf massierten, mal hierhin und dorthin wanderten, ohne sich auch nur einmal in meinen Strähnen zu verheddern. Wie machte sie das bloß?

„Oh, das ist nur Übung.“

Offenbar hatte ich meinen letzten Gedanken laut ausgesprochen. Gut, dass ich mit dem Rücken zu Tinka stand, denn ich fühlte wie ich rot anlief. Reißen sie sich zusammen, Prinzessin Finara!

Tinka spülte mich fein säuberlich ab, dann wickelte sie mir das Handtuch um den Kopf und stupste mich auffordernd in Richtung Wanne. Ich murrte ein wenig, aber Tinka lachte nur. Dann endlich ließ ich mich in dem mit warmen Honigtauwasser gefüllten Bassin nieder. Ganz nah am Rand, so dass ich mich mit Tinka unterhalten konnte. Ich musste einfach mit ihr über das, was meine Eltern beim Abendessen gesagt hatten, reden.

„Sie sind alle völlig behummelt im Kopf!!“, platzte es schließlich aus mir heraus, so laut, dass Tinka ein wenig zusammenzuckte.

„Sie wollen trotz Kriegsvorbereitungen, dass ich diesen dahergelaufenen Rammler eheliche! Ich glaube es einfach nicht. Das ist doch alles absurd und völlig irrational!“ Frustriert planschte ich ein wenig mit den Armen herum. Dabei spritzten Tinka ein paar Tropfen ins Gesicht, so dass sie sich unwillkürlich schüttelte. Doch ich war so in Rage, dass ich mich nicht einmal entschuldigte.

„Nicht genug damit, dass mein Vater tatsächlich die Nerven hat, mir zu sagen, dass ich nicht gebraucht werde beim Kriegführen, nein, ich soll nur die Lächel-bis-zum-Umfallen-Braut spielen, damit auch ja unsere Bündnispartner nicht vor den Kopf gestoßen werden. Fehlt ja nur noch der Zusatz Krieg gewinnen ist wichtig, aber Heiraten noch wichtiger. Ich könnte Blütenpollen kotzen.“

Gelassen wischte Tinka sich die Tropfen aus ihrem Gesicht. Dann zog sie ihre Sandalen aus, setzt sich auf den Wannenrand und schaute milde auf mich herab, während sie mit ihren Füßen im Wasser leicht hin und her plantschte.

„Aber, Finara, siehst du denn nicht, was ihre Majestäten damit bezwecken?“

„Nein. Außer, dass sie mich scheinbar aus dem Weg haben wollen.“

Tinkas Gesicht verfinsterte sich für einen Moment, aber vielleicht war es auch nur ein Dampfschwaden, der einen Schatten auf ihre Wangen warf.

„Wenn sie das gewollt hätten, wärst du schon längst hier weg und bei Prinz Weißfell.“

Ich blitzte sie trotzig an.

„Was wollen sie denn dann?“

„Du weißt ganz genau, dass deine Eltern mit den Kaninchenherrschern sehr, sehr gut befreundet sind. Das geht weit über reine Bündnistreue hinaus. Glaubst du ernsthaft, dass sie wollen, dass du, als ihre einzige Tochter, unglücklich wirst?“

„Ehrlich gesagt, Tinka, ich weiß wirklich nicht, was ich überhaupt noch glauben soll! Ja, mag sein, dass sie befreundet sind, aber muss ich deswegen gleich einen Fremden heiraten? Ich bin es nicht, die mit den Kaninchenherrschern befreundet ist. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war ich vielleicht sechs Blütenzyklen alt? Ich weiß nicht mal mehr, wie der Prinz aussieht. Wir haben seitdem kein einziges Wort gewechselt, außer in offizieller Post. Was ist denn, wenn er mich gar nicht will? Was ist, wenn er schon wen anderes hat? Und noch wichtiger: Was ist, wenn er ein Feigling und buchstäblicher Angsthase ist? Tinka, sei doch ehrlich, ich habe auf alle Fälle etwas Besseres verdient! Da wäre mit fast General Windgeschwind noch lieber! Bei dem steht wenigstens fest, dass er kein Feigling ist.“

„Prinzessin!!“

Ich zuckte zusammen. Tinka klang so kalt und schneidend, dass es meinen roten Wutschleier zerriss. Ich sah zu ihr auf. Ihr Blick war voller Verachtung. Sie starrte mich an, als ob ich eine parasitäre Larve wäre. Ich blinzelte kurz. Doch Tinka hatte ihren Blick wieder gesenkt. Hatte ich mir das nur eingebildet?

„Meint ihr das Ernst, Prinzessin?“

„Was?“

„Das mit General Windgeschwind?“

„Das er mir lieber wäre?“

„Ja.“

Ich gab keine Antwort und drehte ihr nur den Rücken zu. Natürlich hatte ich das nicht Ernst gemeint. Aber es war tatsächlich ein Fakt, dass der General der Fichtenherrscher ein mutiger, fast schon tollkühner Falke war. Die Geschichten, die man sich über ihn erzählte, waren vermutlich nur Märchen, aber ich musste zugeben, dass ich ihn durchaus bewunderte. Allerdings bewunderte ich auch unseren Kommandanten Leafus gleichermaßen. Ich mochte mutige Persönlichkeiten. So einfach war das. Ich wollte so sein wie sie. Und jetzt nahm mir mein Vater die Chance mich zu beweisen, mir selbst zu beweisen, dass ich genauso wie meine heimlich oder offen bewunderten Vorbilder sein konnte. Ich wandte mich Tinka wieder zu, die immer noch am Wannenrand hockte. Ich sah ihr direkt in die Augen und meinte:

„Ich mag mutige Typen. Das weißt du doch ganz genau. Ich habe dir gegenüber nie einen Hehl daraus gemacht, dass, obwohl die Falken ohne Zweifel schreckliche Tyrannen sind, sie trotzdem mutige Kämpfer haben, die für ihre Sache genauso einstehen, wie wir für unsere. Nüchtern betrachtet, könnte man sich hier durchaus die Frage stellen, warum wir nicht aktiv auf die Falken zugehen und direkt versuchen mit ihnen Friedensverhandlungen zu führen. Noch pragmatischer betrachtet: Kein Geschichtsbuch erwähnt, dass die Völker Grünhains jemals versucht hätten, mit den Falken Friedensverhandlungen zu führen. Ich meine, das ist doch merkwürdig? Das Bündnis hat es noch nicht einmal versucht. Weder Feen, noch Kaninchen, noch Ratten, noch Hornissen. Ich finde das merkwürdig. Aber noch seltsamer finde ich den Gedanken, dass das scheinbar noch keinem aufgefallen ist. Und jetzt, wo sich mir eine Chance geboten hätte, so etwas anzuregen, soll ich mit Prinz Weißfell verheiratet werden und dadurch Bündnisstärke demonstrieren? Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich eventuell Prinz Weißfell persönlich Unrecht tue. Ich habe keine Ahnung, ob er ein Feigling, ein Angsthase oder was auch immer ist. Aber, meine liebe Tinka, du scheinst nicht auf dem Laufenden zu sein.“

Jetzt runzelte Tinka die Stirn, aber ich fuhr fort:

„Falls du es nicht mitbekommen haben solltest: Der letzte Brief der Kaninchenherrscher ist einen halben Blütenzyklus her und seitdem kam nichts mehr.“

„Das ... wie meinst du das?“

„Ich meine, was ich es sage. Verstehst du, warum ich jetzt so reagiere. Vor einem Zyklus kam der Brief mit dem Angebot zum Verlöbnis, aber meine Eltern haben das erst jetzt positiv beantwortet. Und ist dir aufgefallen, dass an meinem Geburtstag zwar eine Kaninchen-Delegation hier war, aber weder Prinz Weißfell noch seine Eltern aufgetaucht sind. Warum haben meine Eltern solange gewartet? Warum waren die Kaninchenherrscher nicht anwesend? Und warum ausgerechnet jetzt und unter diesen Umständen? Der letzte Besuch der Kaninchenherrscher ist sogar noch länger her und wie gesagt, ich habe Prinz Weißfell mit sechs Blütenzyklen das erste und letzte Mal gesehen. Ich frage mich allen Ernstes was dahinter steckt, Tinka.“

Ich sah sie erwartungsvoll an, doch Tinka schwieg. Ihr Blick war immer noch hart, aber ich sah wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Sie sah mich an, doch sie schien durch mich hindurchzusehen. Dann richtete sie sich ruckartig auf und diesmal war sie es, die mir den Rücken zudrehte. Schließlich presste sie hervor:

„Prinzessin, vergebt mir, aber ihr seid nicht auf dem Laufenden. Es gibt keine Möglichkeit mit den Falken zu verhandeln. Sie haben die drei Botschafter, die euer Vater schickte, getötet und ihre Köpfe auf der Fichtenfestung ausgestellt: Das war ihre „Antwort“ auf ein Friedensangebot. Ihr seid ziemlich arrogant und anmaßend gegenüber eurem Vater, der nur will, dass seine Tochter vor solch grausamen Anblicken verschont bleibt. Was die Heirat angeht: Nun, ich denke eure Mutter kennt euch einfach viel zu gut und hat euch deshalb vor vollendete Tatsachen gestellt.“

Ich war sprachlos. Zwar mochte ich Tinkas schonungslose Ehrlichkeit, auch deshalb waren wir befreundet. Aber so hatte sie noch nie mit mir gesprochen. Selbst wenn ich Hitzkopf die Fassung verlor, war sie noch nie unfair zu mir gewesen. Ich spürte wie sich mein Herz verkrampfte. Also waren sich alle hier im Schloss einig ...

Ich richtete mich kerzengerade auf und meinte laut:

„Danke, Tinka, aber du kannst jetzt gehen. Ich brauche dich für heute Abend nicht mehr. Sag ihren Majestäten, dass ich nicht heirate, solange wir keinen Frieden haben.“

Ich beobachtete, wie sie unwillkürlich zusammenzuckte, doch ich hatte nicht die Spur eines schlechten Gewissens. Es gab eine klare Linie zwischen Ehrlichkeit und Unfairness. Schweigend verließ Tinka das Bad, wie ich es ihr befohlen hatte. 

Ich ließ mich auf der Marmorbank nieder und rutschte bis zum Kinn in das Honigtauwasser. Also war Tinka gar nicht auf meiner Seite. Ich hätte ihr einfach gar nichts erzählen sollen, außer ein paar Belanglosigkeiten... Enttäuscht ließ ich den Kopf hängen und blubberte ein wenig vor mich hin. Ich hatte wirklich gedacht, wir wären echte Freundinnen. Im selben Moment schalt ich mich auch schon eine dumme Fee. Was sollte sie denn sonst zu mir sagen? Sie unterstand als Dienerin ganz klar meiner Mutter. Was hatte ich denn erwartet? Aber es tat weh. 

Ich biss die Zähne zusammen und stieg schließlich aus der Wanne, zog meine Uniform  wieder an und huschte lautlos über den Flur zu meinem Zimmer. Ich schloss die Tür und lehnte mich mit dem Rücken dagegen. Ich spürte einen Kloß im Hals, der sich nicht runter schlucken ließ, ich vermisste Tinka schon jetzt. Vielleicht hatten ja alle recht und ich war eine dumme, naive Fee. Formal war an der Heirat auch nichts auszusetzen. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, den Rest meines Lebens zwischen Kaninchenbau und Feenschloss hin und her zu pendeln. Vielleicht war Prinz Weißfell auch nett und zuvorkommend, immerhin waren elf Blütenzyklen vergangen. Es war sogar sehr wahrscheinlich, dass wir uns verstehen würden, denn die Kaninchen wählten ihre Herrscher nach dem Leistungsprinzip aus und ich war sehr gut vorbereitet, um dem Prinzen keine Schande zu machen. Mir war bewusst, dass jetzt die Zeit gekommen war, mich als Herrscherin zu profilieren. Aber jetzt vor dem Hintergrund der Kriegsvorbereitungen, konnte ich mich nicht gegen den Gedanken wehren, dass das alles nur Theater war, um das Feenvolk ruhig zu halten. Hofften meine Eltern vielleicht, dass niemand eine Schlacht gegen die Fichtenherrscher bemerkte?! Ich lächelte spöttisch vor mich hin. Das konnte nicht ihr Ernst sein. 

Ich schleppte mich zu meinem Bett, tauschte meine Uniform gegen mein Nachtgewand, kuschelte mich unter die Decke und flüsterte in die Stille:

„Morgen werde ich mich bei Tinka entschuldigen.“

Kaum hatte ich meine Augen zugemacht, fiel ich auch schon in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

*

Mitten in der Nacht bewegte sich die Klinke an der Tür zum Gemach der Feenpinzessin. Eine schlanke Gestalt, schob sich durch den Spalt. Im hereinfallenden Mondlicht zog sich ihr Schatten in die Länge, während die Gestalt sich still dem Bett näherte. Tinka sah auf Finara herab. Ihr Blick glitt über die auf den Kissen aufgefächerten nussbraunen Haare, die weißen Wangen und blieb schließlich an den langen Wimpern hängen. Vorsichtig strich Tinka der Prinzessin übers Haar. Sie wollte nicht, dass Finara aufwachte. Doch sie konnte nicht widerstehen, nahm ihre Hand und und streichelte sie. Das silberne Mondlicht fiel auf Finaras Gesicht und verlieh ihr eine schimmernde Aura. Tinka verzog das Gesicht. Finara war wirklich schön. Tinka beneidete sie und das Leben, welches sie führte. Finara hatte alles, alles was man sich nur wünschen konnte und doch war sie unzufrieden? Dieser kindische Idealismus, diese maßlose Arroganz! Und doch waren sie über die Jahre irgendwie zu Freundinnen geworden. Tinka hielt den Atem an, beugte sie sich über Finara und küsste sie auf die Stirn, dann flüsterte sie:

„Du dummes Mädchen...Ich wünsche dir, dass du in Zukunft aufrichtigere Freunde findest.“ Sie ließ Finaras Hand wieder los und verschwand genauso leise wie sie gekommen war. Sie bemerkte den Schatten auf dem Fenstersims nicht: 

Lange Ohren zeichneten sich dort im Mondlicht auf der Fensterbank ab. Sie blieben dort bis zum Morgengrauen.

Wird fortgesetzt


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